Hohe Nervosität |
25.02.2016 15:05:00
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«Müssen Turbulenzen im Auge behalten»
Der Chefökonom von Europas grösstem Vermögensverwalter zeichnet ein düsteres Bild. Didier Borowski über die Finanzpanik, die Macht der Notenbanken und die Gefahren für die Finanzmärkte.
Amundi ist mit einem verwalteten Vermögen von fast 1 Billion Euro der grösste Assetmanager Europas. Das Wort des ökonomische Vordenkers des Geldhauses hat Gewicht, und doch tritt Didier Borowski im Gespräch leise auf. Die Sätze des Franzosen mit polnischen Wurzeln haben es aber in sich.
Die Finanzmärkte sind in Aufruhr: Die Börsen verlieren zweistellig, um dann wieder kräftig zuzulegen. Wie grosse Sorgen müssen wir uns machen?
Didier Borowski*: Der Stress an den Finanzmärkten ist seit Jahresbeginn massiv gestiegen und hat im Februar nochmal zugenommen. Seit 2011 notieren einige Stress-Indizes auf ihren Höchstständen. Beispielsweise zeigt der Finanzstressindikator der Fed Cleveland eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit eines systemischen Risikos in den USA an. In den letzten 25 Jahren haben wird das nur dreimal erlebt: Zuletzt zum Höhepunkt der Krise um Griechenland 2011, während der Finanzkrise 2008 und davor im Zuge des russischen Zahlungsausfalls 1998. Diese Finanzturbulenzen müssen wir aufmerksam im Auge behalten.
Was hat sich geändert, dass die Börsen nun plötzlich verrückt zu spielen scheinen?
Rein konjunkturell kaum etwas: Zwar sind die Vorhersagen für das globale Wirtschaftswachstum von Organisationen wie der OECD oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) etwas zu hoch angesetzt. Aber es ist nur ein unterdurchschnittliches Wachstum und keine Rezession: Die grossen Volkswirtschaften wachsen weiter, zeigen die Frühindikatoren. Andererseits haben der Absturz der Rohstoffpreise und der steigende US-Dollar Unternehmen zugesetzt, die in US-Dollar verschuldet sind.
Wird China zum grossen Problem für die Weltwirtschaft?
Die Unternehmensschulden in China, aber auch anderen aufstrebenden Ländern, sind stark gestiegen. Die Überkapazitäten in der Industrie bieten Anlass zur Sorge. Hinzu kommt: Oft sind die Verbindlichkeiten in Dollar denominiert. Daher würde eine schnelle Abwertung des Yuans die Probleme verschärfen. Das sind Zutaten für einen explosiven Cocktail. Wir gehen davon aus, dass es in diesem Jahr eine regelrechte Welle an Kreditausfällen in Schwellenländern geben wird.
Wie schlimm wird es?
Das ist schwierig abzuschätzen und hängt stark von den Aktionen der Regierungen und der Notenbanken ab. Wenn es um die Eindämmung des Finanzstresses geht, können die Zentralbanken zwar sehr schlagkräftig sein. Allerdings können sie keine Investitionen in Gang setzen. Für mehr Potenzialwachstum sind parallel dazu weitere Strukturreformen und global koordinierte Fiskalmassnahmen erforderlich, um Wachstums- und Inflationserwartungen zu verstetigen. Die Zentralbanken haben dabei den Kreditkanal zur Realwirtschaft aufrecht zu erhalten. Dann könnten auch die Börsen eine Erholung erleben und ihre Verluste der letzten Monate weitgehend ausgleichen.
Wie viel Munition haben die grossen Notenbanken heute noch?
Sie können viel tun. Das gilt auch für die Europäische Zentralbank: Präsident Mario Draghi wird die Tür für weitere Massnahmen offenhalten, aber im März nicht alle Hebel in Gang setzen. Die EZB hat verschiedene Optionen: etwa eine weitere Senkung des Leitzinses, der heute bei minus 0,3 Prozent liegt, um einen Zehntel Punkt. Die EZB kann auch weitere Wertpapiere, wie beispielsweise ABS, Bank- oder Unternehmensanleihen, aufkaufen. Draghi hat keine Wahl als zu handeln, denn die Inflationserwartungen sind allein in den vergangenen zwei Monaten dramatisch gesunken.
Lässt sich dieser Rückgang mit harten Daten erklären?
Nur bedingt. Möglicherweise waren die gängigen Prognosen für den Ölpreis in den vergangenen Monaten zu naiv - und nun sieht man die Sache realistischer. Fakt ist, dass die Inflationserwartungen in den USA und in Europa auf historische Tiefstände zurückgegangen sind: Für die USA sind sie heute niedriger als im Jahr 2008, als die Lehman-Bank in die Pleite rutschte. Eine weitere Rolle spielt die handelsgewichtete Aufwertung des US-Dollars und des Euro seit Dezember. Mittlerweile schwenken selbst frühere Befürworter von Zinserhöhungen wie Fed-Mitglied James Bullard um und warnen vor einer weiteren Straffung. Das ist bemerkenswert.
Die Zinsen in der Euro-Zone sind schon negativ. Wie weit kann die EZB nach unten gehen?
Wir sind nahe an der Untergrenze. Einige Marktteilnehmer glauben zwar, dass ein Zins von minus 1 Prozent möglich ist, wobei ich nicht erwarte, dass die EZB so weit gehen wird. Man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass Anleger auf Bargeld und Banknoten mit hohem Wert ausweichen und Negativzinsen so umgehen können. Solange es Bargeld gibt, können Zentralbanken die Zinsen nicht viel tiefer in den negativen Bereich drücken. Ausserdem würde dies den Bankensektor weiter destabilisieren.
Bislang war es oft so, dass Draghis Aktionen die SNB unter Zugzwang brachte und die Schweizerische Notenabank ebenfalls reagieren musste. Wie steht es künftig um den Franken?
Natürlich kann die SNB unter Zugzwang geraten. Allerdings hat der Franken in den vergangenen Wochen trotz steigender Risiken kaum aufgewertet, das könnte sich in den kommenden Monaten bestätigen. Der Franken ist noch immer etwas überbewertet.
Lange galten Zinserhöhungen in den USA in diesem Jahr als sicher, nun hat sich auch dort der Wind gedreht.
Richtig, die US-Notenbank Fed ist angesichts der stark gesunkenen Inflationserwartungen und des Finanzstresses in Lauerstellung. Sie wird abwarten, was die nächsten harten Indikatoren bringen. Unser Basisszenario ist noch immer, dass die US-Zinsen 2016 ein weiteres Mal angehoben werden - allerdings nicht vor dem zweiten Halbjahr. Wenn die Gefahr einer Rezession dramatisch ansteigt, sind aber auch Negativzinsen und ein weiteres Quantitative-Easing-Programm möglich.
* Didier Borowski ist Chefökonom von Amundi Asset Management. Der grösste Vermögensverwalter Europas mit Hauptsitz in Paris hat über 100 Millionen Kunden in 30 Ländern.
Wie er die Gefahr eines «Brexit» und die Lage in Japan sieht, lesen sie im vollständigen Artikel auf Handelszeitung Online.
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