Interview |
09.01.2015 10:35:27
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«Die EZB wird sich vorerst zurückhalten»
Die deutsche Regierung blufft, sagt Willem Buiter, Chefökonom der Citigroup über die Diskussion zu «Grexit». Im Interview spricht er über die neuen Risiken - und wie die Citigroup-Experten den Begriff «Grexit» erfanden.
Interview von Mathias Ohanian
Auf einmal diskutiert Europa wieder über Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone. Nachdem die Krise der Gemeinschaftswährung lange kaum Thema war, ist der Begriff «Grexit» heute in aller Munde. Erfunden haben den Begriff die Ökonomen der Citigroup unter Federführung ihres Chefökonomen Willem Buiter*. Dieser aber gibt sich fair - und bedauert: «Eigentlich hat mein Co-Autor Ebrahim Rahbari den Begriff kreiert - ein Wort für die Wörterbücher.»
Sind Sie überrascht, dass ein Euro-Austritt Griechenlands auf einmal wieder eine reale Gefahr zu sein scheint?
Willem Buiter: Nach der politischen Entscheidung, Griechenland im Euro zu behalten und Mario Draghis Bekenntnis zur Gemeinschaftswährung dachte ich eigentlich, dass ich den Begriff «Grexit» nicht so schnell wieder in den Mund nehmen müsste. Aber es ist klar, dass Griechenlands Schulden nicht tragbar sind und Athen eine erhebliche Umstrukturierung braucht.
Ist ein weiterer Schuldenschnitt denn politisch durchführbar?
Eine neue griechische Regierung könnte die mit der Troika ausgehandelten Vereinbarungen ablehnen und um jeden Preis einen Schuldenschnitt wollen. Kommt es zu einem einseitigen Schnitt, dürfte es für griechische Banken schwer werden, sich zu refinanzieren. Die Frage würde aufkommen: Warum soll Griechenland überhaupt noch in der Euro-Zone bleiben?
So mancher Politiker in Berlin denkt offenbar, dass ein «Grexit» heute leichter zu stemmen wäre. Die Euro-Zone ist mit dem Rettungsschirm ESM und den stärker kapitalisierten Banken besser für einen Austritt Griechenlands gerüstet als noch vor drei Jahren, so die Argumentation.
Ich denke, das ist ein Bluff. Ein Versuch der deutschen Regierung, die Wahl in Griechenland zu beeinflussen. Es mag richtig sein, dass der Bankensektor heute in besserer Verfassung und die direkte finanzielle Ansteckungsgefahr innerhalb des Bankensektors geringer ist. Aber die Banken sind noch immer nicht ausreichend kapitalisiert und es gibt noch immer eine andere Art der Ansteckungsgefahr.
Dass andere Länder nach einem Griechen-Austritt aus der Euro-Zone gedrängt werden könnten?
Der Euro galt als unwiderruflich. Es könnte zu einem riesigen Chaos kommen, sollte Griechenland die Euro-Zone verlassen. Die Märkte würden anfangen zu fragen, welches Land der nächste Austrittskandidat ist.
Und die Zinsen auf Anleihen von Peripheriestaaten könnten wieder auf Niveaus steigen wie 2011 und 2012?
Ich hoffe, dass dieses Experiment nicht versucht wird, weil es desaströse Auswirkungen haben könnte. Länder wie Portugal, Spanien und Italien könnten wieder vom Markt abgeschnitten werden. Die deutsche Regierung sollte wissen, dass bei einem Griechenland-Austritt die ganze Euro-Zone auf dem Spiel steht. Aber es gibt keinen leichten Ausweg: Wenn Griechenland bekommt, was es will, könnten die politischen Spannungen in einigen Nordländern wie Deutschland und der Niederlande zunehmen.
Drei Tage vor der griechischen Parlamentswahl tagt am 22. Januar die Europäische Zentralbank. Wird Draghi dann ein grosses Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen ankündigen?
Im Gegensatz zur deutschen Regierung dürfte die EZB die Wahl in Griechenland nicht beeinflussen wollen. Deshalb wird sie sich zurückhalten und nicht viel tun. Obwohl sie Anleihen im grossen Stil aufkaufen sollte. Die EZB hat seit Draghis Bekenntnis zum Euro im Sommer 2012 ihre Bilanz um eine Billion gekürzt statt sie zu erweitern. Das ist eigentlich kriminell. Je eher die EZB Anleihekäufe ankündigt, desto besser. Sie könnte ein ausserordentliches Treffen anberaumen, zum Beispiel direkt nach der Wahl in Griechenland.
Wie Erfolg versprechend wäre ein grosses Anleihekaufprogramm für die Euro-Zone?
Ein gross angelegtes Programm, bei dem Anleihen aller Staaten gekauft werden, würde ein wenig Entlastung bringen. Es braucht aber auch fiskalische Unterstützung in den Peripherieländern - dort, wo die Produktionslücke am grössten ist. Und natürlich braucht es strukturelle Reformen - in Frankreich, Italien und selbst in Deutschland. Denn dort gingen die Reformen in den letzten Jahren in die falsche Richtung.
Aber Berlin stellt sich gegen Konjunkturhilfen.
Deutschland macht rund 30 Prozent der Euro-Zone aus und sollte kein Vetorecht haben - wenngleich Berlin das heute gewissermassen hat. Wenn Deutschland weiter die gleiche geld- und finanzpolitische Politik für die Euro-Zone verfolgt wie bislang, kann die Euro-Zone politisch nicht überleben. Die Lage ist ausserordentlich ernst. Ich war noch nie so besorgt wie heute.
Sie sind noch besorgter als zum Höhepunkt der Euro-Krise?
Ja. Damals war ich um Griechenland besorgt - heute um die ganze Euro-Zone. Ich habe niemals geglaubt, dass die Euro-Zone auseinanderfallen könnte, weil grosse Länder sagen, sie können nicht in dieser geldpolitischen und fiskalischen Zwangsjacke leben. Jetzt denke ich, das ist eindeutig eine Möglichkeit.
Aber die Euro-Zone erholt sich wirtschaftlich, selbst Griechenland. Jetzt unterstützen auch der schwächere Euro und die gesunkenen Ölpreise die Konjunktur.
Diese Faktoren helfen ein wenig. Aber vor der Erholung ist Griechenlands Wirtschaft um ein Viertel geschrumpft. Mit dem aktuellen Erholungstempo dauert es noch zehn Jahre, bis Griechenland das Vorkrisenniveau erreicht hat. Das ist politisch nicht zu verkaufen.
* Willem Buiter gehört zu den renommiertesten Ökonomen Europas. Der in Den Haag geborene Wirtschaftsprofessor besitzt die britische und die US-Staatsbürgerschaft. Der 65-Jährige studierte unter anderem in Yale, unterrichtete dort, in Princeton und an der London School of Economics. Er war zudem externes Mitglied des geldpolitischen Rates der Bank of England, Chefökonom der europäischen Entwicklungsbank EBRD und beriet unter anderem Goldman Sachs. Seit Anfang 2010 ist er Chefökonom der Citigroup.
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