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Zinsentscheid 09.05.2014 15:23:35

Experten rechnen mit EZB-Strafzins für Banken

Nach Mario Draghis jüngstem Auftritt sind immer mehr Fachleute überzeugt: Im Juni reagieren die europäischen Währungshüter mit historischen Massnahmen. Das hat Auswirkungen auf die Schweiz.

Zunächst sah es nach einer unspektakulären Monatssitzung aus. Mario Draghi trug sein vorbereitetes Statement gestern ohne grosse Änderungen gegenüber April vor: Einerseits gebe es Zeichen der konjunkturellen Erholung, besorgt sei man jedoch über die anhaltend niedrige Inflation, trug der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) vor. Den Leitzins beliess die EZB bei 0,25 Prozent. Im weiteren Sitzungsverlauf, vor allem bei der allgemeinen Fragerunde der Journalisten, jedoch wurde klar: Die Sorge, dass die Inflation noch länger als bislang gedacht unter der Zielrate von mittelfristig nahe, aber unter zwei Prozent liegen könnte, wächst. Nach Ansicht von Draghi bestehen sogar erhebliche Abwärtsrisiken zum derzeitigen Inflationsausblick. Sowohl die Aufwertung des Euro als auch die geopolitischen Risiken - namentlich die Krise in der Ukraine - belasten. EZB sieht schon heute nur geringe Preisanstiege Dabei sind die Währungshüter bereits heute skeptisch: Ihrer Prognose zufolge nehmen die Konsumentenpreise in diesem Jahr nur um rund 1 Prozent zu, im kommenden Jahr dann um 1,3 Prozent. Für 2016 wird eine Rate von 1,5 Prozent veranschlagt. Das alles ist deutlich weniger als der angestrebte Zielwert. Und dann sagte Draghi einen Satz, der aufhorchen liess: Man fühle sich wohl damit, im Juni nötigenfalls zu handeln. Allerdings wolle man noch die nächsten Prognosen abwarten. Depositenrate auf minus 0,25 Prozent? Wie dies aussehen könnte, hat nun Ökonom Daniel Hartmann von der Bantleon Bank formuliert. Er rechnet damit, dass die EZB im kommenden Monat ihren Instrumentenkasten «vollständig ausreizen» wird. Der Leitzins dürfte seiner neuen Prognose zufolge von derzeit historisch niedrigen 0,25 Prozent auf Null gesenkt werden. Erstmals in der Geschichte der Euro-Zone wird die EZB seiner Ansicht nach im Juni zudem den Depositensatz auf minus 0,25 Prozent senken. Das würde bedeuten: Wollen Banken ihre überschüssige Liquidität kurzfristig bei der Notenbank parken, müssen sie eine Busse dafür zahlen - statt dass sie Zinsen dafür bekommen. «Für diese Massnahme spricht, dass Draghi während der Pressekonferenz immer wieder auf die Problematik des Wechselkurses hingewiesen hat und negative Leitzinsen als das 'beste' Mittel zur Bekämpfung der Euroaufwertung angesehen werden.» Grossbanken erwarten nach gestern Minuszinsen Damit steht Hartmann nicht allein. Auch die Ökonomen bei der UBS erwarten seit der gestrigen EZB-Sitzung, dass die Depositenrate im Juni erstmals in den negativen Bereich rutscht. Sie gehen indes nur von bis zu minus 0,15 Prozent aus. Dort hält man zusätzliche Liquiditätsmassnahmen, etwa die Senkung der Mindestreserve, ebenfalls für möglich. Auch andere grosse Finanzinstitute wie Goldman Sachs, Barclays und BNP Paribas erwarten, dass die EZB Anfang Juni die Einführung negativer Depositzinsen bekannt geben wird. Andere Fachleute geben sich noch etwas zurückhaltender. So änderten Credit Suisse und Deutsche Bank ihre Prognosen bislang noch nicht. «Die EZB wird wahrscheinlich ihren Leitzins und den Depositzins senken, insbesondere dann, wenn die neuen Staff-Vorhersagen eine weitere Verschlechterung der Inflationslage ergeben», sagt Guntram Wolff, Direktor beim renommierten Brüsseler Thinktank Bruegel. Auswirkungen auf die Schweiz Was für die Euro-Zone ein Novum wäre, wurde in der Schweiz bereits in den 1970er Jahren erprobt. Als der Schweizer Franken wegen der Ölkrise massiv aufwertete, verständigten sich SNB und Geschäftsbanken darauf, den Franken zu schützen. Zu den Massnahmen gehörten auch Negativzinsen auf kurzfristige ausländische Frankenguthaben. Erst vor wenigen Wochen plädierte der Internationale Währungsfonds neuerdings für negative Zinsen in der Schweiz, sollte der Deflationsdruck hierzulande steigen. Die ungewöhnliche Massnahme könnte laut Ökonomen erfolgreich sein - birgt jedoch Risiken. Lockert die EZB ihre Geldpolitik im Juni tatsächlich weiter, wird das auch die Schweiz betreffen. Der Franken würde wohl gegenüber dem Euro aufwerten und sich wieder stärker in Richtung der von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gesetzten Grenze von 1,2 Franken pro Euro bewegen. Die SNB könnte sich dann genötigt sehen, die einmal mehr die Wichtigkeit der Frankengrenze zu betonen - und sie bei eventuellen Marktbewegungen mit Devisenkäufen sogar verteidigen müssen. Damit würde denn auch die Geldpolitik der Schweiz noch etwas länger als bislang geplant expansiv bleiben müssen. Dies wiederum würde die Übertreibungen am Schweizer Immobilienmarkt zusätzlich verstärken. (moh)

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