Immobilienkrise |
19.10.2021 22:02:00
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Chinesischer Immobilienkonzern Evergrande in Schieflage: Was steckt dahinter?
Der drohende Kollaps des chinesischen Immobiliengiganten Evergrande beschäftigt die Märkte nun schon seit Wochen - und ein Ende ist nicht in Sicht. Das Unternehmen ächzt bereits seit Monaten unter einer hohen Schuldenlast und ein Zahlungsausfall wird immer wahrscheinlicher. Wir fassen zusammen, was man über die Krise bei Evergrande und im chinesischen Immobiliensektor wissen sollten.
• Schulden des Konzerns so hoch wie die mancher EU-Länder
• Experten uneins über mögliche Folgen von Evergrande-Kollaps
Die Baubranche ist einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren in China und macht laut "Capital" bis zu 29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Volksrepublik aus. Lange galt der Immobiliensektor als wirtschaftliches Rückgrat von China, doch seit einer Zeit zeigen sich Risse, die sich immer mehr zu einer handfesten Krise ausweiten. So werden laut "Capital" immer weniger Wohnungen von den Immobilienkonzernen auch wirklich fertig gebaut - und viele der fertigen Einheiten bleiben leer. Schuld an dieser Entwicklung ist auch die Corona-Pandemie, die laut dem Wirtschaftsmagazin nicht nur dazu führte, dass weniger Chinesen in die Städte zogen, sondern auch dazu, dass viele Menschen wieder von der Stadt auf das Land umsiedelten, da es in den Städten - bedingt durch die Lockdowns - weniger Arbeit gab. Die sinkende Nachfrage zeigt sich auch anhand der Durchschnittspreise der verkauften Immobilien, die laut "Capital" bis Ende Juni 2021 um 11,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr nachgaben. Der nachlassende Immobilien-Boom und staatliche Regulierungen bringen jedoch einige Unternehmen in Bedrängnis - und könnten den Immobilien-Riesen Evergrande sogar komplett zu Fall bringen.
Was muss man über Evergrande als Unternehmen wissen?
Die China Evergrande Group ist gemessen an ihrem Umsatz der zweitgrösste Immobilienentwickler Chinas und einer von nur fünf chinesischen Bau-Riesen. Evergrande beschäftigt rund 200'000 Mitarbeiter. Seit der Gründung im Jahr 1996 hat Unternehmenschef Hui Ka Yan, auch bekannt unter dem Namen Xu Jiayin, Evergrande zu einem sehr verschachtelten Konglomerat aufgebaut mit weiteren Geschäftsaktivitäten ausserhalb des Immobiliensektors. Unter anderem ist das Unternehmen in den Bereichen Elektrofahrzeuge, Themenparks und Nahrungsmittel aktiv. Mit der E-Autotochter China Evergrande New Energy Vehicle plante man gar, bis 2025 der grösste E-Auto-Hersteller Chinas zu werden und 24 Modelle auf den Markt zu bringen. Bislang wurde jedoch kein einziges E-Auto verkauft. Auch der chinesische Fussball-Rekordmeister FC Guangzhou gehört mehrheitlich zum Evergrande-Konzern - und trug bis Ende 2020 noch den Namen Guangzhou Evergrande. Laut "Capital" gibt es inzwischen 248 Firmen, die Tochterunternehmen des Konzerns oder mit ihm verflochten sind. Laut Mattie Bekink von EIU sind diese weitläufigen Geschäftstätigkeiten auch ein Teil des aktuellen Problems. Evergrande sei "weit vom Kerngeschäft abgewichen, was ein Teil der Ursache ist, wie sie in diesen Schlamassel geraten konnten", sagte sie gegenüber "CNN".
Welches Geschäftsmodell verfolgt Evergrande?
Evergrande kauft Grundstücke in den grossen urbanen Zentren Chinas, baut dort Immobilien und verkauft diese dann wieder. In der Regel wird durch den Verkauf der fertigen Immobilien der Erwerb neuer Grundstücke finanziert. Doch bei Evergrande haben sich Umsatz und Projektentwicklung laut "Capital" in den vergangenen zehn Jahren verzwölffacht, die Anzahl der laufenden Projekte nahm stetig zu. Das aus den Verkäufen generierte Kapital reichte dabei nicht aus, um dieses enorme Wachstum zu finanzieren, weshalb der Konzern auf eine Vorfinanzierung durch Kredite, Anleihen und - in China übliche - hohe Kundenanzahlungen zurückgriff. "Das Geschäftsmodell von Evergrande beruht auf einer sehr wackeligen Annahme: Die Käufer von Immobilien erwarten weiter steigende Preise aufgrund einer anhaltenden Zunahme der Nachfrage. Nur unter dieser Prämisse sind Immobilienkäufer bereit, erhebliche Vorauszahlungen für ihre Immobilien zu leisten", fasste der Ökonom Peter Seppelfricke das Geschäftsmodell von Evergrande gegenüber "Capital" zusammen. Sobald der Immobilienboom jedoch - wie in China geschehen - nachlässt, lässt sich das Geschäftsmodell nicht mehr aufrechterhalten.
Warum ist Evergrande in Schwierigkeiten?
Laut Mark Williams von Capital Economics liegt "der Ursprung von Evergrandes Schwierigkeiten - und denen von anderen stark gehebelten Immobilienentwicklern - darin, dass die Nachfrage nach Wohneigentum in China in eine Phase nachhaltigen Rückgangs eintritt". Das sagte der Ökonom laut "CNN". Denn Evergrande hat sein astronomisches Wachstum zunehmend durch Schulden finanziert und dabei eine Art Schneeballsystem aufgebaut. Laut "Capital" war den Banken dieses Problem bekannt, weshalb sie zunehmend höhere Kreditzinsen von dem Konzern verlangten und so das Problem der hohen Verschuldung noch verschärften.
Daneben versetzte auch die chinesische Regierung Evergrande und anderen Immobilienkonzernen einen harten Schlag, indem sie deren Schuldenaufnahme deutlich beschränkte. Mit den "drei roten Linien" wurden Regeln eingeführt, die das Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten, den Nettoverschuldungsgrad und das Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten der Unternehmen regeln. Mit diesen strengen Regulierungen brach das Geschäftsmodell von Evergrande quasi von einem Tag auf den anderen zusammen, da der Konzern keine neuen Schulden mehr aufnehmen konnte, um seine Geschäftstätigkeiten zu finanzieren oder bestehende Schulden zu begleichen.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls bei Evergrande?
Evergrande ist mit rund 300 Milliarden US-Dollar verschuldet, was in etwa den Staatsschulden von Finnland entspricht. Im kommenden Jahr müsste der Konzern laut "Deutsche Welle" allein 7,4 Milliarden US-Dollar für fällige Anleihen aufbringen. Ob dies gelingt, ist mehr als fraglich, denn schon jetzt hat der Konzern die Frist für Zinszahlungen für in US-Dollar gehandelte Anleihen verstreichen lassen. Laut dpa legt Evergrande-Chef Xu Jiayin zurzeit den Fokus auf die Bedienung von Anleihen im chinesischen Heimatmarkt, da ansonsten Unruhen befürchtet werden. So bediente der Konzern im September noch eine Kuponzahlung in Höhe von 35,88 Millionen US-Dollar für eine in Shenzhen gehandelte Onshore-Anleihe. Doch Evergrande hat auch in China längst nicht alle fälligen Schulden beglichen. Mitte Oktober wurde beispielsweise bekannt, dass der Konzern der Stadt Changchun noch 28 Millionen US-Dollar für einen im Juni getätigten Landerwerb schuldig ist.
Die Ratingagenturen Moody's, Fitch und China Chengxin International (CCXI) haben die Kreditwürdigkeit von Evergrande längst deutlich herabgestuft. "Wir sehen einen Zahlungsausfall irgendeiner Art als wahrscheinlich an", hiess es bereits im September laut "CNN" in einem Statement der Ratingagentur Fitch. Die "Deutsche Welle" rechnet damit, dass es für Anleihe-Investoren zu einem Schuldenschnitt in Höhe von 75 Prozent kommen wird.
Was tut Evergrande, um der Pleite doch noch zu entgehen?
Eine Pleite des Immobilienkonzerns scheint sich kaum noch abwenden zu lassen. Dennoch versucht der Konzern, mit allen denkbaren Mitteln noch etwas Geld aufzutreiben. Das habe teilweise zu skurrilen Massnahmen geführt, sagte Peter Seppelfricke gegenüber "Capital". "Mitarbeiter sollten Kredite geben oder wurden mit Parkplätzen oder anderen Immobilien entlohnt", beschreibt der Professor für Finanzwirtschaft die verzweifelte Suche nach Finanzierungsquellen.
Doch während solche Aktionen nur geringe Summen in die Kassen gespült hätten, denkt Evergrande auch grösser. So verkaufte das Unternehmen Ende September seinen Anteil an der Shengjing Bank für rund 1,5 Milliarden Dollar an die staatliche Vermögensgesellschaft Shenyang Shengjing. Ausserdem suchte Evergrande im August nach einem Käufer für seine E-Autotochter, wurde jedoch nicht fündig - womöglich auch, weil bislang noch kein E-Auto verkauft wurde und die Unternehmenstochter laut "Capital" rund 99 Prozent ihres Umsatzes im Gesundheitsmanagement erzielt. Inzwischen kämpft China Evergrande New Energy Vehicle selbst mit Liquiditätsproblemen.
Auch andere Massnahmen zur Geldbeschaffung waren bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt, so etwa der geplante Verkauf des Geschäftsturms China Evergrande Centre in Hongkong. Laut einem Bericht der staatlichen Zeitung "Global Times" will Evergrande ausserdem 51 Prozent seiner Tochter Property Services Group für fünf Milliarden Dollar an den Rivalen Hopson verkaufen. Doch auch dieser Deal wurde bislang nicht bestätigt.
Warum fielen die Probleme bei Evergrande nicht schon früher auf?
Wie die Experten von Goldman Sachs laut "CNN" konstatierten, mache es die komplizierte Struktur der Unternehmensgruppe schwer, ein genaues Bild von Evergrandes Zustand zu erhalten. Konkret nannte die Investmentbank "die Komplexität der Evergrande Gruppe und das Fehlen von ausreichenden Informationen bezüglich der Assets und Verbindlichkeiten des Unternehmens". Laut "Capital" habe Evergrande zudem in den vergangenen Jahren starke Gewinne ausgewiesen und eine Bilanz mit ausreichend liquiden Mitteln und Eigenkapital vorgelegt. Lediglich das sinkende Absatzwachstum sowie der deutliche Anstieg des Geldumschlags hätten auf Probleme hingedeutet. Somit ist es bei Evergrande im Prinzip wie bei jedem Schneeballsystem: Es läuft alles rund, bis durch geänderte Rahmenbedingungen oder fehlende Neukunden kein neues Geld mehr fliesst.
Betrifft die Krise auch andere Konzerne?
Die strengen Regulierungen der chinesischen Regierung bezüglich der Kreditaufnahme machen auch anderen Immobilienkonzernen zu schaffen. So kündigte die Sinic Holding an, einen am 18. Oktober fälligen Anleihekupon voraussichtlich nicht zahlen zu können. Auch der Immobilienentwickler Modern Land will um die Verschiebung eines Rückzahlungsdatums für ausstehende Anleiheschulden bitten, die eigentlich am 25. Oktober fällig wären. Das Immobilienunternehmen Fantasia schränkte indes den Handel mit seinen Anleihen ein. Statt an der Börse sollen die Schuldverschreibungen nun nur noch nach Verhandlungen den Besitzer wechseln können. Zuvor hatte das Unternehmen die Frist für eine Anleiherückzahlung über 206 Millionen US-Dollar gerissen.
Für viele Investoren kommt dies indes nicht überraschend. Denn sie befürchten laut dpa schon eine Weile einen Kollaps chinesischer Immobilienunternehmen, die viele Jahre auf Pump gewachsen sind. Nun steigt aber bei Anlegern die Sorge um eine Blase am chinesischen Immobilienmarkt, die kurz vor dem Platzen steht - und das macht es für die Immobilienkonzerne nicht gerade leichter. "Es ist ein Teufelskreis für die Immobilienentwickler, die nicht stark genug sind, denn es gibt nicht genügend Liquidität auf dem Markt für alle", sagte Thomas Kwok, Leiter des Aktiengeschäfts beim Brokerhaus Chief Securities laut der Nachrichtenagentur "Reuters".
Was tut die chinesische Regierung?
Da die chinesische Regierung mit ihren "drei roten Linien" für Ordnung auf dem hoch spekulativen Immobilienmarkt sorgen wollte, gilt es nun als eher unwahrscheinlich, dass sie zur Rettung von Evergrande herbeieilen wird. Mitte Oktober wurde jedoch bekannt, dass die Finanzaufsicht einigen Grossbanken im September befohlen hatte, die Kreditvergabe für Immobilienkredite für das dritte Quartal zu beschleunigen. Ausserdem soll sie den Verkauf bestimmter Anleihen erlaubt haben, die auf Immobilienkrediten basieren und seit dem Frühjahr eigentlich verboten waren, um das Ansteckungsrisiko im Immobiliensektor zu senken. Die People's Bank of China versprach im September laut "CNN" ausserdem "die rechtmässigen Rechte und Interessen der privaten Hauskäufer zu schützen".
"Der Staat reguliert den Markt neu und das eine oder andere Unternehmen wird die neuen Standards nicht schaffen", sagte China-Experte Frank Sieren gegenüber "Focus online". Dass einige Firmen pleite gehen könnten, dürfte die chinesische Regierung also durchaus mit einkalkuliert haben - womöglich, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Ein ähnliches Vorgehen zeigte sich schliesslich bereits in der Vergangenheit am Beispiel von Tech-Konzernen wie der Ant Group.
Was sagen Experten zur Evergrande-Krise und ihren möglichen Folgen?
Viele Analysten glauben bei einem Evergrande-Zusammenbruch nicht an globale Folgen vom Ausmass der Lehman-Pleite. Laut Barclays seien die Marktbedingungen und Voraussetzungen für eine Krise damals anders gewesen als heute. Auch die Analysten der Citigroup und der Société Générale sehen zwar Risiken für das chinesische Finanzsystem, aber kaum Anzeichen für eine breitete Ausbreitung der Krise wie beim Zusammenbruch von Lehman Brothers.
Allerdings gibt es auch immer mehr Stimmen, die davor warnen, dass die Auswirkungen nicht auf den chinesischen Immobilienmarkt beschränkt bleiben, sondern es zu einem grösseren Flächenbrand in der chinesischen Wirtschaft kommen könnte. Wie Mark Williams von Capital Economics laut "CNN" sagte, wäre ein Kollaps von Evergrande "der grösste Test seit Jahren, dem das chinesische Finanzsystem gegenübersteht". Auch die Analysten von JPMorgan befürchten laut "Deutsche Welle" inzwischen, dass die Krise auf andere Branchen überschwappen könnte.
Der Internationale Währungsfonds warnt sogar vor einem Risiko für die weltweite Finanzstabilität. Zwar seien die Auswirkungen aktuell auf China begrenzt, das könnte sich jedoch ändern. "Die Behörden haben zwar die Mittel, um im Falle einer Eskalation einzugreifen, aber trotzdem besteht das Risiko, dass es zu breiteren finanziellen Anspannungen kommt, mit Auswirkungen sowohl für die chinesische Wirtschaft und den Finanzsektor als auch für die globalen Kapitalmärkte", heisst es in einem IWF-Bericht.
Redaktion finanzen.ch
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