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Wirecard-Skandal 22.07.2020 17:55:41

Fall Wirecard wird für Bundesregierung immer ungemütlicher - Haftbefehle gegen Wirecard-Vorstände - Wirecard-Aktie etwas fester

Fall Wirecard wird für Bundesregierung immer ungemütlicher - Haftbefehle gegen Wirecard-Vorstände - Wirecard-Aktie etwas fester

Der Betrugsskandal bei Wirecard droht für die Bundesregierung immer ungemütlicher zu werden.

Wirecard
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Am Mittwoch wurde bekannt, dass das Kanzleramt mehrmals Kontakt mit Wirecard-Managern und Beratern hatte - dazu gehörte auch der Ex-Geheimdienstkoordinator der Regierungszentrale. Neben den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Manager des insolventen DAX-Konzerns richtet sich der Blick auf die Frage: Was hat die Regierung wann gewusst - und was hat sie unternommen oder unterlassen? Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags rückt näher. Innerhalb der Koalition ist ein Streit über Verantwortlichkeiten ausgebrochen.

Wirecard hatte im vergangenen Monat zuerst Luftbuchungen in Höhe von mutmasslich 1,9 Milliarden Euro eingeräumt und wenig später Insolvenz angemeldet. Am kommenden Mittwoch stellen sich Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Fragen des Finanzausschusses. Ein Überblick:

KANZLERAMT

Am Mittwoch legte das Bundeskanzleramt Karten auf den Tisch. Die Regierungszentrale hatte seit Ende 2018 mehrmals Kontakt mit Wirecard-Managern und Beratern - überraschend tauchte dabei auch der Name Klaus-Dieter Fritsche auf. Fritsche war im Kanzleramt von 2014 bis zum Frühjahr 2018 Staatssekretär und zuständig für die Geheimdienste.

Fritsche wandte sich nach Angaben eines Regierungssprechers am 13. August 2019 an das Kanzleramt und bat um einen Gesprächstermin für die Wirecard AG bei Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller am 11. September 2019. Zur Vorbereitung bat das Kanzleramt beim Finanzministerium um Informationen zum Unternehmen. Das Ressort von Scholz schickte dann "öffentlich verfügbare Informationen" ans Kanzleramt - darunter Antworten der Regierung auf Anfragen der Opposition, bei denen es um Vorwürfe gegen Wirecard ging, etwa zu Unregelmässigkeiten bei der Rechnungslegung.

Fritsche sagte dem "Spiegel", im Sommer 2019 habe ihn ein Freund gefragt, ob er für Wirecard einen Kontakt zum Kanzleramt organisieren könne. "Da es eins von nur vier DAX-Unternehmen aus Bayern ist, habe ich zugesagt und einen Termin mit Herrn Röller angefragt." Weiter sagte er: "Wir haben ganz zivil geredet, es wurden keine Hilfe aus dem Kanzleramt oder gar der Kanzlerin selber eingefordert." Danach sei er nicht mehr für Wirecard tätig geworden.

Auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg machte Lobbyarbeit für Wirecard und hatte im Zusammenhang mit einer China-Reise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Kontakt zum Kanzleramt. Auf der Reise im September 2019 sprach Merkel das Thema der geplanten Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial durch Wirecard an. Merkel habe zum Zeitpunkt der Reise "keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmässigkeiten bei Wirecard" gehabt, so der Sprecher. Die Regierung setze sich in ihren bilateralen Kontakten mit anderen Ländern regelmässig auch für die wirtschaftlichen Interessen deutscher Firmen in diesen Ländern ein.

Weiter hiess es, in einem Telefonat mit Röller habe der inzwischen zurückgetretene Wirecard-Vorstandschef Markus Braun am 20. Mai 2020 den Vorwurf der Bilanzfälschung zurückgewiesen und vollständige Aufklärung zugesichert. Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi sagte zu den neuen Details: "Die Affäre Wirecard wird immer undurchsichtiger."

FINANZMINISTERIUM:

Im Fokus steht auch das Finanzministerium. Einer Aufstellung zufolge traf sich Finanzstaatssekretär Jörg Kukies am 5. November 2019 mit dem Wirecard-Chef Braun zu einem persönlichen Gespräch - an Brauns Geburtstag. Kukies habe den Manipulationsverdacht angesprochen sowie die Sonderprüfung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, so das Ministerium.

Finanzminister Scholz wurde am 19. Februar 2019 darüber unterrichtet, dass die Finanzaufsicht Bafin den Fall Wirecard wegen des Verdachts des Verstosses gegen das Verbot der Marktmanipulation untersuche. Scholz sagte der "Zeit", er sei mit einer Vorlage über den Sachstand unterrichtet worden, der bereits weitgehend öffentlich bekannt gewesen sei. Es sei etwa darum gegangen, dass die Bafin von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung eine Prüfung des Halbjahresabschlusses von Wirecard verlangt habe, um Vorwürfe gegen das Unternehmen aufzuklären. Wirecard sei seit fast zehn Jahren von einem grossen Wirtschaftsprüfungsunternehmen geprüft worden, ohne dass dabei Erkenntnisse über die Unregelmässigkeiten zutage gefördert worden wären.

Der Finanzminister hat angekündigt, Versäumnisse aufzuklären, ausserdem will er Reformen. Der "Zeit" sagte er, die Bafin solle mehr in Richtung der amerikanischen Finanzaufsicht SEC gehen, die umfassendere Befugnisse habe. Ausserdem sollen Wirtschaftsprüfer bei Unternehmen häufiger wechseln.

Oppositionspolitiker hatte Scholz bereits aufgefordert spätestens bei der Sondersitzung des Finanzausschusses alle Fakten auf den Tisch zu legen, auch angesichts von vielen geschädigten Anlegern.

WIRTSCHAFTSMINISTERIUM:

Die SPD wirft Altmaier vor, zu wenig zur Aufklärung beizutragen - beim Wirtschaftsministerium aber sei die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer angesiedelt. Das kann als Versuch gewertet werden, Scholz zu schützen - der als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gilt.

Eine Sprecherin Altmaiers hatte gesagt: "Alle beteiligten Stellen sind aufgefordert, die unsäglichen Vorfälle bei Wirecard aufzuklären, das gilt selbstverständlich auch für alle betroffenen Bundesressorts." Allerdings lägen Regelungen für die Wirtschaftsprüfer und die Anforderungen an die Prüfungen in der Zuständigkeit des Justizministeriums - das wiederum ist SPD-geführt. Die Abschlussprüferaufsichtsstelle APAS sei hingegen eine unabhängige berufsrechtliche Aufsicht über Wirtschaftsprüfer.

Staatsanwaltschaft: Drei Haftbefehle gegen Wirecard-Vorstände

Im Betrugsskandal beim Dax -Konzern Wirecard hat die Münchner Staatsanwaltschaft drei Haftbefehle gegen frühere Führungskräfte gestellt. Dabei gehe es unter anderem um gewerbsmässigen Bandenbetrug und Marktmanipulation in mehreren Fällen, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Mittwoch in München. Ein Kronzeuge und weitere Unterlagen hätten den Ermittlern zudem weitergeholfen: Demnach sollen die Betroffenen schon seit 2015 beschlossen haben, die Wirecard-Bilanz "aufzublähen".

Die neuen Haftbefehle richten sich unter anderem gegen einen früheren Finanzvorstand, aber auch erneut gegen Ex-Vorstandschef Markus Braun. Ein erster Haftbefehl gegen ihn war gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro ausser Vollzug gesetzt. In allen Fällen sei die Haftfortdauer angeordnet worden, sagte die Sprecherin. Die drei Beschuldigten seien in München festgenommen worden, sie hätten sich nicht selbst gestellt. Noch in Untersuchungshaft befindet sich der frühere Chef der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East in Dubai.

Wirecard mit Sitz in Aschheim bei München hatte vor dem Insolvenzantrag eingeräumt, dass 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf philippinischen Treuhandkonten verbucht waren, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existieren. Bei diesen 1,9 Milliarden Euro handelte es sich um die angeblichen Erträge von Geschäfte mit Subunternehmern, die für Wirecard Kreditkartenzahlungen in Südostasien und im Mittleren Osten abwickelten. Nach derzeitigem Stand war dieses Drittpartnergeschäft entweder in Gänze oder zum allergrössten Teil erdichtet.

Von den insgesamt 45 Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft Wirecard gab es überhaupt nur drei, die nennenswert profitabel waren. Über die Cardsystems in Dubai liefen die mutmasslichen Scheingeschäfte, diese Firma steuerte 2018 mit 237 Millionen einen grossen Anteil des Wirecard-Gewinns bei.

Nachdem die Wirecard-Aktie den Großteil des XETRA-Handelstages im Plus verbracht hat, gab sie auf die Neuigkeiten zunächst 3,54 Prozent auf 1,74 Euro ab. Zum Handelsschluss gewann sie jedoch erneut 0,22 Prozent auf 1,81 Euro.(Dow Jones / AWP)

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Bildquelle: Wirecard,CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images

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