"Nicht völlig beispiellos" |
01.05.2023 16:49:00
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US-Aktienmarkt hat Rezession schon einmal ignoriert: Wie stehen die Chancen auf eine Wiederholung?
Der härtere geldpolitische Kurs der Notenbanken weltweit - in den USA noch kombiniert mit strengeren Bedingungen für die Kreditvergabe nach dem Kollaps mehrerer US-Regionalbanken - setzt der Wirtschaft zu. Die Aktienmärkte zeigen sich in 2023 allerdings bislang weitgehend unbeeindruckt von der Gefahr einer möglichen Rezession. Eine RBC-Strategin analysierte nun, ob das so weitergehen kann.
• Aktienmarkt hat Rezession in den USA laut RBC schon einmal ignoriert
• Wiederholung dieses Verhaltens möglich
Bezüglich einer möglichen Rezession in den kommenden Monaten gibt es zahlreiche Meinungen. Anleihekönig Jeffrey Gundlach sagte jüngst beispielsweise den Beginn einer US-Rezession in wenigen Monaten voraus, während das Peterson Institute for International Economics für die USA wahrscheinlich keine Rezession erwartet. Auch hierzulande gehen die Meinungen weit auseinander. So prognostizieren die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute keine Rezession in Deutschland, Commerzbank-Experten erwarten hingegen eine Rezession als unweigerliche Folge des Zinserhöhungszyklus. Auch zur Schwere einer Rezession - sollte sie denn kommen - gibt es unterschiedliche Meinungen.
Dem Aktienmarkt scheint das alles aktuell jedoch recht egal zu sein. So hat etwa der deutsche Leitindex DAX seit Jahresbeginn rund 14,4 Prozent zugelegt, für den breiten US-Index S&P 500 ging es im gleichen Zeitraum um rund 8,6 Prozent aufwärts. (Stand: Schlusskurse vom 28.04.2023). Dabei sind Rezessionen eigentlich nicht förderlich für die Aktienkurse. "Ich denke, das Umfeld, in dem wir uns heute befinden, was wir mit erhöhter Inflation, steigenden Zinssätzen und Rissen im Finanzsystem sehen, ist die Art von Umfeld, die einen Börsencrash viel wahrscheinlicher als normal macht", kommentierte etwa Chris Brightman von Research Affiliates, einem Entwickler von Smart Beta-Anlagestrategien, gegenüber "Yahoo Finance". Um herauszufinden, wie der US-Aktienmarkt normalerweise auf eine Rezession reagiert - und ob es möglich ist, dass er einen Wirtschaftsabschwung einfach ignoriert -, hat Kapitalmarkt-Strategin Lori Calvasina von RBC die Entwicklung des S&P 500 seit dem Jahr 1937 unter die Lupe genommen. Sie kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Börse zwar selten über eine Rezession hinwegsieht, dies aber nicht ganz beispiellos sei.
US-Aktienmarkt ignorierte Rezession 1945 - Könnte sich die Geschichte wiederholen?
Laut "Yahoo Finance" fand RBC-Expertin Calvasina in ihrem Datensatz 13 offizielle Rezessionen in den USA seit 1937. Der S&P 500 habe dabei bis zum Tiefpunkt im Durchschnitt 32 Prozent an Wert verloren und diesen im Normalfall vier bis fünf Monate vor Ende der Rezession erreicht. Allerdings habe es laut der Strategin eine Instanz gegeben, bei der sich der US-Index völlig anders verhalten habe, nämlich 1945. So sei der Aktienmarkt durch die Rezession nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einfach durchmarschiert und habe sogar deutliche Kursgewinne verbuchen können. "Es ist die einzige Rezession, die im Wesentlichen ignoriert wurde", sagte Calvasina gegenüber "CNBC". Wie die Expertin in einer Mitteilung schrieb, die "MarketWatch" vorliegt, entstand die US-Rezession 1945 durch den Übergang von einer Kriegswirtschaft zu einer Friedenswirtschaft und dauerte nur kurz, nämlich von Februar bis Oktober 1945. Der Aktienmarkt habe allerdings vor der Rezession volatile Bedingungen erlebt, wobei der S&P 500 in den ersten Kriegsjahren um 43 Prozent fiel und damit den typischen Rezessionsverlust etwas übertraf, so Calvasina weiter. Den erwähnten Tiefpunkt markierte der Index 1942, einige Monate nach dem Angriff auf Pearl Harbor. Im Anschluss ging es jedoch - abgesehen von einem 13-prozentigen Rückschlag in 1943 - wieder kräftig aufwärts, so dass der S&P 500 Ende 1945 um rund 34 Prozent höher stand als zu Kriegsbeginn.
"Während es klare Unterschiede zwischen 1945 und heute gibt, haben beide gemeinsam, dass beispiellose historische Ereignisse dramatische Veränderungen in der Wirtschaft verursachten, die einen harten Übergang zurück zu normaleren Bedingungen erforderten", schrieb Calvasina laut "MarketWatch". Während es 1945 der Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft war, der die Regierung bewog, ihre Finanzierungsprogramme wieder einzustellen, sei dies nun der Übergang von der Corona-Pandemie zu einer Post-COVID-Ära. 1945 sei es dabei zu einer technischen Rezession gekommen - ein Begriff, der auch aktuell immer wieder fällt -, über die die Aktienmärkte hätten hinwegsehen können. Diese "Idee einer künstlichen Rezession, über die wir alle letztes Jahr gesprochen haben, hatte man damals tatsächlich", so die RBC-Strategin laut "CNBC". "Die Zeit wird zeigen, ob der Aktienmarkt über eine Rezession hinwegblicken kann, die in den Jahren 2023-2024 auftritt, wenn die US-Wirtschaft ihren Übergang in die Post-COVID-Ära abschliesst. Es ist wichtig zu bedenken, dass dies zwar selten, aber nicht völlig beispiellos wäre", so Calvasina weiter.
RBC-Expertin erwartet 2023 keinen Kursrutsch bei US-Aktien
Wie Calvasina laut "MarketWatch" in einer Kundenmitteilung schrieb, gehe RBC davon aus, dass der S&P 500 eine Rezession bereits eingepreist habe, als er im vergangenen Oktober auf ein mehrmonatiges Tief gefallen sei. Dies habe einen Rückgang von rund 25 Prozent von seinem Rekordhoch aus Januar 2022 bedeutet. Wenn die Aktienmärkte eine bevorstehende Rezession also bereits eingepreist hätten, "wäre das seltsam, aber nicht beispiellos, wenn man zurückgeht und sich die Geschichtsbücher ansieht" bekräftigte die Expertin im Interview mit "CNBC". Sie geht daher davon aus, dass der S&P 500 zum Jahresende bei 4.100 Punkten - und damit etwas unter seinem aktuellen Niveau - stehen werde.
Redaktion finanzen.ch
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