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Experten-Kolumne 08.04.2024 15:51:44

Anlagerichtlinien für die 2. Säule flexibilisieren? Unnötig!

Anlagerichtlinien für die 2. Säule flexibilisieren? Unnötig!

Schweizer Pensionskassen legen die Vermögen ihrer Versicherten eher konservativ an. Dies aufgrund ihrer Verpflichtungen und der jährlichen Rechenschaftspflicht. Die Forderung nach Anlagerichtlinien, die mehr Risiko ermöglichen, ist nicht angebracht.

Seit einigen Jahren wird von verschiedener Seite immer wieder gefordert, dass Pensionskassen und andere Vorsorgeeinrichtungen das Vermögen der Versicherten risikoreicher anlegen sollen, um höhere Renditen zu erzielen - und deshalb seien die Anlagerichtlinien für die 2. Säule zu flexibilisieren. Als Argument wird oft auf die Anlagestrategie amerikanischer Stiftungsfonds (US-Endowments) verwiesen, die im Vergleich zu schweizerischen Pensionskassen eine meist höhere Performance erwirtschaften.

Doch diese Forderung ist aus zwei Gründen nicht zielführend: Erstens bedeutet ein Vergleich zwischen dem schweizerischen Pensionskassensystem und US-Endowments «Äpfel mit Birnen vergleichen». Und zweitens weisen die Anlagerichtlinien für Pensionskassen einen genügend hohen Spielraum auf, der von den Kassen allerdings oft nur ungenügend genutzt wird.

US-Stiftungsfonds taugen nicht als Vergleich

US-Endowments sind Stiftungsfonds aus gespendeten Geldern, die hauptsächlich von Universitäten, Colleges und manchmal auch von gemeinnützigen Organisationen in den USA verwaltet werden. Einige der grössten und bekanntesten Endowments gehören zu führenden akademischen Institutionen wie Harvard, Yale, Stanford und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT). Diese Fonds investieren in eine breite Palette von Vermögenswerten, zu denen unter anderem Aktien, Anleihen, Immobilien und - zum Teil mehrheitlich - alternative Anlagen zählen.

Das Kapital eines Endowments wird langfristig angelegt, und nur die Erträge (oder ein Teil davon) werden für Forschungsprogramme, Lehre, Stipendien und andere Aktivitäten ausgegeben. Auf diese Weise verfügen die Einrichtungen über eine dauerhafte Finanzierungsquelle, die sie vor finanziellen Schwankungen schützt und es ihnen ermöglicht, langfristig zu planen und in ihre Kernaufgaben zu investieren. Ihr Fondsvermögen wird oft deutlich anders angelegt als das von Schweizer Pensionskassen, vor allem aufgrund ihrer unterschiedlichen Verpflichtungen und Ansätze im Asset und Liability Management (ALM).

Jährliche Rechenschaftspflicht bedingt limitierte Wertschwankungen

US-Endowments verfolgen eine breitere und risikoreichere Anlagestrategie; ihre Aufgabe ist die Finanzierung des Universitätsbetriebs. Pensionskassen in der Schweiz fokussieren auf Stabilität und die Sicherung der Rentenverpflichtungen gegenüber ihren Versicherten, was zu einem konservativeren Anlageansatz führt; ihre Aufgabe ist die Gewährleistung der Altersvorsorge.

Dass die Risikofreudigkeit der amerikanischen Stiftungsfonds mit hoher Volatilität einhergeht, hat die Vergangenheit gezeigt. Das Fondsvermögen der Harvard Management Company, zum Beispiel, beträgt stolze 50 Mrd. Dollar, wovon im Finanzjahr 2023 39 Prozent in Private-Equity-Anlagen und 31 Prozent in Hedge Fonds investiert waren. Sehr hohe jährliche Schwankungen des Fondsvermögens werden in Kauf genommen.

Das ist für Schweizer Pensionskassen nicht möglich. Sie müssen ihren Versicherten, Stiftungsrat und Aufsichtsbehörde jedes Jahr Rechenschaft über ihre Geschäfte und die Wertentwicklung der Vermögenswerte ablegen, dies unter anderem mit Blick auf Deckungsgrad, Sollrendite und Wertschwankungsreserven. Fällt der Deckungsgrad in einem schlechten Anlagejahr unter ein bestimmtes Niveau, sind gemäss Statuten vieler Vorsorgeeinrichtungen Sanierungsmassnahmen zwingend.

Deckungsgrad und andere Vorgaben

Dazu kommt der BVG-Mindestzinssatz, der die jährliche Verzinsung der angesparten obligatorischen Altersguthaben bestimmt. Müssten sie ihren Deckungsgrad und andere Parameter z.B. nur alle fünf Jahre ausweisen, könnten sie höhere Anlagerisiken eingehen, in extremen Marktsituationen die Anlagen stärker umschichten, und eine höhere Performance erzielen. Pensionskassen müssen also schwere temporäre Rückschläge vermeiden und in Bezug auf eine risikoreichere und langfristig potenziell rentablere Anlagestrategie sind ihnen die Hände gebunden.

Die Verordnung u¨ber die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV2) gibt die Anlagerichtlinien für Pensionskassen vor. Zu den zulässigen BVV2-Anlagen gehören Aktien, Obligationen, Immobilien, liquide Mittel, Hypotheken, Darlehen, alternative Anlagen, Infrastrukturanlagen und nicht kotierte Schweizer Anlagen. Es gibt auch Vorschriften, ob die Anlagen direkt oder mittels kollektiver Vehikel zu halten sind, wann ein Hebel zulässig ist, und wie gross einzelne Schuldner maximal sein dürfen.

Nur bei Immobilien wird der Spielraum ausgenutzt

Für die einzelnen Anlagekategorien gelten bezogen auf das Gesamtvermögen folgende Begrenzungen: 50 Prozent schweizerische Grundpfandtitel, 50 Prozent Aktien, 30 Prozent Immobilien, 15 Prozent alternative Anlagen, 30 Prozent Fremdwährungen ohne Währungssicherung, 10 Prozent Infrastruktur und 5 Prozent nicht kotierte Schweizer Anlagen (Private Debt und Private Equity). Untergrenzen gibt es keine.

In Realität waren per Ende 2022 nur 31,1 Prozent der Vorsorgevermögen von Schweizer Pensionskassen in Aktien investiert, dies gemäss Swisscanto PK-Studie 2023. Die Obligationenquote betrug 27,1 Prozent, Immobilienanlagen machten 27 Prozent aus, alternative Anlagen 6,2 Prozent und die Ende Oktober 2020 als eigenständige Kategorie aufgenommenen Infrastrukturanlagen 1,4 Prozent. Nicht kotierte Schweizer Anlagen, die Anfang 2022 ins Anlagereglement aufgenommen wurden, sind noch nicht ausgewiesen.

Eigenverantwortung übernehmen ist zentral

Den Pensionskassen kann aufgrund dieser Zahlen Konservatismus vorgeworfen werden. Aber sie erfüllen mit ihrem Anlageverhalten im Durchschnitt - und vor dem Hintergrund der regulatorischen Anforderungen - ihren Zweck und ihre Aufgabe meist gut. Es ist nicht nötig, die gesetzlichen Anlagerichtlinien zu lockern, um den Spielraum der Pensionskassen zu erhöhen. Die gegenwärtigen BVV-2-Anlagerichtlinien sind vertretbar und flexibel genug. Zudem werden sie periodisch angepasst, um Marktentwicklungen gerecht zu werden, wie das Beispiel der Infrastrukturanlagen und Privatanlagen zeigt.

Schweizer Pensionskassen könnten ihren regulatorisch vorgegebenen Spielraum jedoch konsequenter und mutiger nutzen, indem sie offener für Diversifikationsmöglichkeiten sind, Eigenverantwortung übernehmen und sich nicht zu sehr auf externe Berater verlassen. Sie sollten nach gründlicher Analyse auch grössere Allokationen in nicht-traditionelle Anlagen vornehmen, um eine spürbare Wirkung zu erzielen. Und nicht zuletzt sollten sie im Rahmen der regulatorischen Vorgaben auch in schwierigen Phasen an einer überzeugenden langfristigen Anlagestrategie festhalten.

Zitate

Es ist nicht nötig, die gesetzlichen Anlagerichtlinien zu lockern, um den Spielraum der Pensionskassen zu erhöhen.

Pensionskassen sollten auch grössere Allokationen in nicht-traditionelle Anlagen vornehmen, um eine spürbare Wirkung zu erzielen.

Die bestehenden Anlagerichtlinien bieten genügend Spielraum - dieser sollte im Interesse der Destinatäre zum Teil konsequenter genutzt werden.

Autor: Dr. Werner E. Rutsch, Head Institutional Business bei AXA Investment Managers Schweiz Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

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