Expertenkolumne |
26.02.2021 10:12:39
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Altersvorsorge spiegelt neue Arbeitswelt nicht wider
Die Sicherstellung bedarfsgerechter Altersleistungen wird je länger, je mehr in Frage gestellt. Der Einzelne kann dieser Herausforderung nur mit mehr und früherem Ansparen von Kapital begegnen.
Eine im Jahr 2020 durchgeführte Studie der Universität St. Gallen (HSG) mit dem Titel «Digitaler Wandel - Neue Arbeitsformen und ihre Konsequenzen für die Vorsorge» hat untersucht, welche Reformvorschläge bei den Schweizern - sowohl bei Laien wie bei Expertinnen - auf die grösste Akzeptanz stossen würden. Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der repräsentativen Umfrage ist, dass rund drei Viertel der Teilnehmerinnen die gesamte Bevölkerung in die Vorsorge einbinden wollen, insbesondere die vorsorgetechnisch benachteiligten Selbstständigen und Geringverdiener. Neue Arbeitsformen wie Cloud- und Crowdworking, Teilzeitarbeit oder Jobsharing sowie Arbeit auf Abruf sind zwar weit verbreitet und zunehmend auch gesellschaftlich anerkannt, berücksichtigt vom Schweizer Vorsorgesystem werden sie indes nur ungenügend.
Vorausschauende Arbeitgeber haben die Initiative bereits ergriffen und stimmen den Koordinationsabzug auf den Beschäftigungsgrad der Teilzeitmitarbeiter ab. Das hilft besonders Geringverdienern, die Altersleistungen aufzubessern. Hierzu ein Beispiel: Der «normale» Koordinationsabzug im Fall eines 100-Prozent-Pensums beträgt 25’095 Franken. Arbeitet jemand 60 Prozent, beträgt der Koordinationsabzug entsprechend nur 60 Prozent der 25’095 Franken, sprich 15’057 Franken.
Vorbilder Österreich und Schweden
Eine andere wichtige Erkenntnis aus der HSG-Studie ist, dass sich offenbar nur eine kleine Minderheit bewusst ist, mit welchen Altersleistungen sie im Ruhestand rechnen kann. Oder wie ist es zu erklären, dass mehr als vier Fünftel der Umfrageteilnehmerinnen ein digitales Vorsorgeportal wünschen, das alle vorsorgerelevanten Daten zusammenführt und jedem Einzelnen einen transparenten Überblick über sämtliche Leistungen im Alter verschafft? Österreich und Schweden könnten für das Schweizer Vorsorgesystem Vorbilder sein. Entsprechende Portale existieren dort bereits. Hierzulande sind erste zaghafte Versuche in diese Richtung zu beobachten. Doch bis einzelne Anbieter diese Dienstleistung den Kunden anbieten werden, dürften noch mindestens ein bis zwei Jahre vergehen. Eine schweizweite Lösung, bei der alle involvierten Parteien angeschlossen sind, ist nicht in Sicht.
Wer nicht weiss, welche Vorsorgeleistungen ihn nach der Pensionierung erwarten, der weiss auch nicht, wieviel zusätzliches Kapital notwendig ist, um bedarfsgerechte Altersleistungen zu erhalten. Von bedarfsgerechten Altersleistungen ist die Rede, wenn rund 60 Prozent des letzten Bruttoeinkommens gedeckt sind. Die Sicherstellung dieser bedarfsgerechten Rentengelder ist wegen der andauernd tiefen Verzinsung der Vorsorgevermögen sowie der stetig sinkenden Altersrentenumwandlungssätze in Frage gestellt. Der dritte Beitragszahler dürfte die sich akzentuierenden Vorsorgelücken bei einem grossen Teil der Bevölkerung in absehbarer Zukunft nicht schliessen. Um bedarfsgerechte Leistungen im Alter zu erhalten, sind für die meisten Einkäufe in die Pensionskasse unerlässlich.
Obligatorium und Überobligatorium splitten
Am effektivsten geschieht dies in der überobligatorischen Vorsorge. Fach- und Führungskräfte, die an eine 1e-Sammelstiftung angeschlossen sind, können durch gezielte Einkäufe in ihren individuellen 1e-Plan (pro Vorsorgewerk stehen maximal zehn Anlagestrategien offen) die Einkommenssteuer senken und das so geschaffene, zusätzliche Vorsorgekapital bis zum Bezug von Vermögens- und Quellensteuern befreien. Ein weiterer Vorteil ist, dass direkt in den 1e-Plan einbezahlt werden kann und diese Gelder nicht umverteilt werden können, sondern vollständig der jeweiligen Vorsorgenehmerin gehören.
Die willkürliche Festlegung der Lohnuntergrenze von derzeit 129’060 Franken, um in einen 1e-Plan einzahlen zu können, ist intuitiv nicht nachvollziehbar. Denn um die massive Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern einzudämmen, wäre es erforderlich, dass die obligatorische und die überobligatorische Vorsorge vollständig voneinander getrennt werden. Das würde es ermöglichen, dass bereits Vorsorgebeiträge ab einer Lohnsumme von 86’040 Franken individuell angelegt werden können. Eine Mehrheit von beinahe 70 Prozent der von der HSG befragten Laien äusserte sich entsprechend. Noch grösser ist die Zustimmung der Expertinnen - drei Viertel würden sich mehr Mitbestimmung bei Anlageentscheiden wünschen.
Der Reformstau in der Schweizer Altersvorsorge ist wie erwähnt gross, doch es kommt Bewegung ins System. So trat etwa per Anfang 2021 der Artikel 47a in Kraft. Nun können Versicherte, die nach Vollendung des 58. Altersjahres aus der obligatorischen Versicherung ausscheiden, weil ihnen gekündigt wurde, die Versicherung weiterführen und im Pensionsalter eine Rente beziehen. Leider ist dies aufgrund einer ergänzenden Bestimmung des Bundesamts für Sozialversicherung nur Vorsorgeeinrichtungen gestattet, welche gesetzlich zur Zahlung von Altersrenten verpflichtet sind - sogenannt umhüllenden Kassen. Anbietern, die ausschliesslich in der überobligatorischen Vorsorge tätig sind, soll diese Möglichkeit verwehrt bleiben.
Das kontrastiert ein wenig mit der Entwicklung in den vergangenen Jahren. Während die obligatorische Berufsvorsorge streng reglementiert ist und in der Ausgestaltung eher an die Lebenswelt von vor 50 Jahren erinnert, erlebte die überobligatorische Berufsvorsorge einen erstaunlichen Innovationsschub, der viele neue flexible Lösungen schuf. Diese werden besonders von KMU mit komplexen Einkommens- und Vermögensverhältnissen begrüsst.
Freiwillige Einkäufe stärken das Altersguthaben und senken die Einkommenssteuern. Es gilt allerdings verschiedene fiskalische Spielregeln zu beachten und Einkäufe zeitlich gut zu planen. Eine professionelle Beratung hilft, die individuellen Vorsorgeziele zu definieren und zu erreichen.
Von Andreas Blattner, Leiter Region Nordwestschweiz, PensExpert
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