30.03.2020 11:00:12
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SVR: Corona-Pandemie führt zu Rezession in Deutschland
Von Andreas Kißler
WIESBADEN/BERLIN (Dow Jones)--Die deutschen Wirtschaftsweisen erwarten infolge der Corona-Epidemie eine Rezession in Deutschland. "Die Ausbreitung des Coronavirus hat die beginnende konjunkturelle Erholung gestoppt. Die deutsche Volkswirtschaft wird im Jahr 2020 deutlich schrumpfen", erklärten die Ökonomen in einem Sondergutachten. In einem Basisszenario von drei berechneten Varianten veranschlagen sie für 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 2,8 Prozent. "Im Jahr 2021 könnte das BIP um 3,7 Prozent steigen", erklärten die Wirtschaftsweisen.
"Die wirtschaftliche Entwicklung hängt von Ausmaß und Dauer der gesundheitspolitischen Maßnahmen und der darauf folgenden Erholung ab", betonte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) aber. "Wir gehen davon aus, dass die Corona-Pandemie die Weltwirtschaft stark beeinträchtigen wird", sagte der Vorsitzende des Beratergremiums, Lars Feld. "Dabei ist die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung aufgrund der außergewöhnlichen Situation und der schwierigen Datenlage enorm."
Die drei Szenarien des SVR für die wirtschaftliche Entwicklung in den Jahren 2020 und 2021 unterscheiden sich den Angaben zufolge darin, wie lange und in welchem Ausmaß die einschränkenden, gesundheitspolitischen Maßnahmen anhalten und wie schnell es danach zu einer Erholung kommt. In allen drei Szenarien beende die Ausbreitung des Corona-Virus die sich abzeichnende konjunkturelle Erholung abrupt, sodass eine Rezession im ersten Halbjahr 2020 in Deutschland nicht zu vermeiden sein werde. Bisher hatten die Ökonomen für dieses Jahr ein Wachstum von 0,9 Prozent veranschlagt.
Im Basisszenario, dem nach aktuellen Informationen wahrscheinlichsten Szenario, normalisiere sich die wirtschaftliche Lage über den Sommer wieder. Zum Risikoszenario mit einem Verlauf in Form eines ausgeprägteren V käme es etwa bei großflächigen Produktionsstilllegungen oder länger andauernden gesundheitspolitischen Maßnahmen. Aufgrund des stärkeren Einbruchs im ersten Halbjahr ergäbe sich in diesem Szenario nach den Berechnungen der Wirtschaftsweisen 2020 ein BIP-Rückgang um 5,4 Prozent. Im Jahr 2021 könnten Aufholeffekte dafür sorgen, dass das BIP um 4,9 Prozent wachse, wozu insbesondere ein hoher statistischer Überhang beitragen würde.
Schutz der Gesundheit an erster Stelle
Das Risikoszenario in Form eines langen U könnte nach der Analyse der Experten eintreten, wenn die gesundheitspolitischen Maßnahmen über den Sommer hinaus andauern und die wirtschaftliche Erholung sich erst im Jahr 2021 einstellt. Die getroffenen Politikmaßnahmen reichten dann womöglich nicht aus, um tiefgreifende Beeinträchtigungen der Wirtschaftsstruktur zu verhindern. Verschlechterte Finanzierungsbedingungen und eine verfestigte Unsicherheit könnten zudem Investitionen bremsen und zu Kaufzurückhaltung bei Haushalten führen. Das BIP würde 2020 in einem solchen Szenario um 4,5 Prozent schrumpfen, 2021 würde die Wirtschaftsleistung mit 1,0 Prozent nur sehr langsam wachsen.
Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen sollten sich nach dem Rat der Ökonomen an fünf Kriterien orientieren: Gesundheit schützen, klar kommunizieren, Kapazitäten erhalten, Einkommen stabilisieren und die Zeit gut nutzen. An erster Stelle stehe der Schutz der Gesundheit und damit das Ziel, Erkrankte gut zu versorgen und die Ausbreitung des Virus effektiv zu begrenzen. Dazu sollten dem Gesundheitssystem hinreichende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden und personelle Reserven sowie Notkapazitäten aktiviert werden.
"Voraussetzung für eine Rückkehr auf den Wachstumskurs ist die Eindämmung der Corona-Infektionen, sodass sich das soziale und wirtschaftliche Leben normalisiert", erklärte Feld. Er forderte eine "klar kommunizierte Normalisierungsstrategie". Diese könne "die Erwartungen der Unternehmen und Haushalte stabilisieren und die Unsicherheit verringern". Eine klare Kommunikation trage zudem zur Stabilisierung der Erwartungen auf den Finanzmärkten bei - etwa ein deutliches Signal der Euro-Länder, bei Bedarf zusätzliche fiskalische Ressourcen über bereits bestehende Instrumente wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ab sofort zur Verfügung zu stellen.
Die Bedingungen dafür könnten "auf das erforderliche Minimum für die spätere Rückführung der Schuldenquote reduziert werden". Die Europäische Zentralbank habe eine ausreichende Liquiditätsversorgung und zusätzliche Anleihekäufe zugesichert. "In Verbindung mit dem ESM wäre sie in der Lage, gezielt Anleihen einzelner Staaten im Rahmen von Outright Monetary Transactions anzukaufen", betonten die Wirtschaftsweisen.
Fiskalische Nachfrageimpulse können Erholung stärken
Die Politik könne die Erholung nach dem konjunkturellen Einbruch auf dreifache Weise unterstützen: Erstens sollten unternehmerische Kapazitäten über den Einbruch hinweg möglichst erhalten bleiben. Das Maßnahmenpaket der Regierung sei deshalb zu begrüßen und komme "zur richtigen Zeit". Zweitens sollten die wirtschaftspolitischen Maßnahmen dazu beitragen, die Einkommen zu stabilisieren. Hierzu zählten die bewährten automatischen Stabilisatoren in Deutschland sowie direkte Zuschüsse für besonders stark betroffene Haushalte oder Selbstständige.
Nehme die Wirtschaft nach dem Ende der einschränkenden, gesundheitspolitischen Maßnahmen nicht rasch Fahrt auf, könnten "fiskalische Nachfrageimpulse zu einer schnelleren Erholung beitragen", betonten die Wirtschaftsweisen. Solange die Einschränkungen wirtschaftlicher Aktivitäten andauerten, seien klassische konjunkturpolitische Maßnahmen "wenig Erfolg versprechend". Würden diese jedoch für die Zeit nach den Einschränkungen angekündigt, könnten sie die Erwartungen von Haushalten und Unternehmen positiv beeinflussen.
Nach der Empfehlung der Ökonomen sollte zudem die Zeit der gesundheitspolitischen Maßnahmen bestmöglich genutzt werden, um die Erholung und die langfristige wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen - zum Beispiel, indem Weiterbildungen über entsprechende Angebote und Anreize gefördert würden. In der Bauwirtschaft könnten Bauprojekte priorisiert werden, die sich aufgrund aktuell geringerer Auslastung schneller realisieren ließen. Die Einschränkungen machten zudem Fortschritte bei der Digitalisierung für Unternehmen und öffentliche Verwaltung unabdinglich
Der Sachverständigenrat ist nach eigenen Angaben ein unabhängiges Gremium der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung. Er besteht üblicherweise aus fünf Mitgliedern. Bis zwei neue Mitglieder von der Regierung berufen werden, sind es derzeit allerdings mit Feld, Achim Truger und Volker Wieland nur drei Wirtschaftsweise.
Kontakt zum Autor: konjunktur.de@dowjones.com
DJG/hab
(END) Dow Jones Newswires
March 30, 2020 05:00 ET (09:00 GMT)
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