Schadenersatz |
28.02.2025 15:11:37
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Dämpfer für zehntausende Kläger im Wirecard-Skandal

Eine erste Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts dämpft im Wirecard-Skandal die Hoffnungen zehntausender Aktionäre auf Schadenersatz.
Das verkündete Gerichtspräsidentin Andrea Schmidt. Musterklägeranwalt Peter Mattil nannte die Entscheidung "hundertprozentig falsch" und kündigte Beschwerde beim Bundesgerichtshof an.
Das zivilrechtliche Musterverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht läuft parallel zum Strafprozess, in dem sich Ex-Vorstandschef Markus Braun und zwei Mitangeklagte seit Dezember 2022 verantworten müssen. Auf Schadenersatz geklagt haben nach Worten der Richterin mittlerweile knapp 8.700 Anleger. Weitere 19.000 haben Ansprüche angemeldet, ohne selbst zu klagen.
Ein Kläger für alle
Als stellvertretenden Musterkläger hat der 1. Zivilsenat einen hessischen Bankkaufmann ausgewählt, der eine halbe Million Euro mit Wirecard-Papieren verloren hat. Eigentliche Zielscheibe der Kläger ist EY: Das Unternehmen ist solvent, während bei Ex-Vorstandschef Braun und Co. nach allgemeiner Einschätzung nichts mehr zu holen ist.
"Nicht statthaft"
Gerichtspräsidentin Schmidt begründete den "Teilmusterentscheid": In Musterverfahren gebündelt werden können nur Klagen wegen falscher Information des Kapitalmarkts. Gemeint sind damit unter anderem falsche Bilanzen und falsche Pflichtmitteilungen an die Börse.
EY hat jedoch nach Argumentation des Senats die falschen Wirecard-Bilanzen inklusive des EY-Bestätigungsvermerks nicht selbst veröffentlicht, sondern die Wirecard-Chefetage. Insofern sind Schadenersatzansprüche gegen EY im Musterverfahren laut Gericht "nicht statthaft".
Dass die Wirecard-Bilanzen richtig gewesen wären, behauptet auch der frühere Vorstandschef Braun nicht: Der seit über viereinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzende Manager beschuldigt seinerseits eine Betrügerbande um den abgetauchten Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek, dem Konzern Milliarden gestohlen zu haben.
Musterverfahren gegen Braun läuft weiter
Die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bedeutet nicht, dass Wirecard-Aktionäre grundsätzlich nicht gegen EY klagen könnten. Doch Grundlage müsste nach Worten der Richterin die "Verletzung von Prüfpflichten" sein, nicht die falsche Information des Kapitalmarkts. Die Schadenersatzansprüche gegen Braun und andere ehemalige Wirecard-Grössen werden in dem Musterverfahren ohne Umweg über den BGH weiter verhandelt. "Es geht weiter", sagte Schmidt.
Steine statt Brot
Weiter gehen werden auch die Klagen gegen EY, doch wird das Verfahren nun länger dauern. "Man muss sagen, es ist nochmal komplizierter geworden", sagte Daniela Bergdolt, Vizepräsidentin der Anlegergemeinschaft DSW. "Das Verfahren wird auseinandergerissen." Die Entscheidung gebe den klagenden Wirecard-Aktionären "mehr Steine als Brot". Musterkläger-Anwalt Mattil hofft, dass der BGH im nächsten Jahr über die Beschwerde entscheiden wird.
Seit vergangenem Jahr ist nach den Worten des Anwalts im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz - kurz KapMUG genannt - ausdrücklich geregelt, dass auch Schadenersatzansprüche gegen Wirtschaftsprüfer geltend gemacht werden können. Da Wirecard schon 2020 Insolvenz anmeldete, gilt das nicht rückwirkend. Doch auch das ursprüngliche Gesetz lässt nach Mattils Überzeugung die Aufnahme der Schadenersatzforderungen gegen EY in das Musterverfahren zu. "Wir sind der Meinung, dass wir die viel stärkeren Argumente haben."
Eine eingefrorene Prozesslawine
Sollte der BGH anders entscheiden, könnte auf das Landgericht München I eine momentan eingefrorene Prozesslawine zukommen. Musterverfahren sollen eigentlich die Rechtsprechung beschleunigen: Ein einziger Prozess soll beispielhaft klären, ob Scharen von Klägern Anspruch auf Schadenersatz haben oder nicht. Anschliessend müsste das Landgericht München I in den knapp 8.700 Verfahren jeweils "nur" noch die individuellen Details abhandeln und entscheiden, ob und wie viel Geld jedem einzelnen Kläger zusteht.
Solange das Musterverfahren läuft, sind die 8.700 Klagen ausgesetzt. Sofern die Kläger nicht scharenweise ihre Forderungen gegen EY zurücknehmen, müsste das Gericht wohl jeden Fall von Anfang an einzeln abarbeiten.
Doch auch ein Musterverfahren garantiert keineswegs eine schnelle Entscheidung: Als Negativbeispiel gilt bis heute das Telekom-Verfahren, der erste Musterprozess in Deutschland. Dieser dauerte zwanzig Jahre, nach Schätzungen der DSW verstarben 30 Prozent der Kläger vor dem Ende des Verfahrens, einschliesslich des ursprünglichen Musterklägers.
MÜNCHEN (awp international)
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