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Euro am Sonntag-Portrait 12.02.2020 10:00:00

Schweizer Bahnunternehmer Spuhler: Immer einen Zug voraus

Schweizer Bahnunternehmer Spuhler: Immer einen Zug voraus

Peter Spuhler - Der Schweizer hat aus einer "besseren Dorfschlosserei" den Konzern Stadler Rail geschmiedet, der heute selbst Unternehmen wie Siemens und Bombardier Konkurrenz macht.

Stadler Rail
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von Peter Balsiger, €uro am Sonntag

Der Selfmade-Unternehmer lieferte eine der spektakulärsten Erfolgsstorys der Schweizer Wirtschaft: Peter Spuhler, ­Absolvent der Kaderschmiede HSG in St. Gallen, hatte keine Lust auf eine Karriere als Banker und übernahm als 29-Jähriger einen Familienbetrieb mit 18 Mitarbeitern, den er mit Mut und Härte an die europäische Spitze führte. Heute beschäftigt Stadler Rail, ein ­Liebling der Schweizer Börse, rund 10 500 Angestellte, produziert in acht Ländern Schienenfahrzeuge und wird 2020 einen Umsatz von vier Milliarden Franken erzielen.

Spuhler kam 1959 in Sevilla zur Welt. Sein Vater war Koch - zuletzt Chefkoch im berühmten Luxushotel "Dolder Grand" in Zürich. Seine Mutter leitete eine Unter­wäschefabrik. Spuhler war kein guter Schüler, schaffte es aber dennoch in den Schülerrat und hatte wohl auch schon als Junge den Ruf eines Draufgängers: Sein Pfadfindername war "Bismarck"! Das Abitur schaffte er an einem Abendgymnasium. Anschließend studierte er an der renommierten Hochschule St. Gallen (HSG) Betriebswirtschaft und machte nebenbei Karriere als Eishockeyspieler - als Captain des Zürcher Hockeyklubs Grasshoppers -und als Offizier in der Schweizer Armee.

"Beim Militär habe ich viel gelernt", gibt er zu. Die Bedeutung von Team­arbeit zum Beispiel. Oder strategisches Denken. Noch heute gleichen seine ­jährlich stattfindenden dreitägigen Planungssitzungen am Bodensee einem militärischen Strategiespiel. Mit Schlachtplänen zu Marktsegmenten, Produkten und Absatzgebieten und einer Einschätzung der Möglichkeiten des Gegners.

Spuhler hatte als Hauptmann eine Kompanie von Gebirgsgrenadieren geführt, eine Elitetruppe und wohl auch ein ziemlich wilder Haufen. Er schlief regelmäßig bei minus 20 Grad mit seinen Grenadieren im Schneebiwak und rühmte sich, mit ihnen damals jeden Gipfel im Bündnerland bestiegen zu haben. Er kam bei der Truppe gut an. Selbst dann, als er seine Leute einmal stundenlang in die falsche Richtung geführt hatte und ihre Schultern von den Rucksackriemen schon blutig waren. Er entschuldigte sich, schenkte ihnen ein paar Flaschen Wein, und alles war wieder in Ordnung.

Finanzielle Guillotine in Nacken


Nach Abschluss des Studiums entschied sich Spuhler gegen eine Karriere in einem Großkonzern. Während eines Praktikums bei einer Großbank war ihm klar geworden, dass er eher das Teamwork in überschaubaren Gruppen suchte, in einem Betrieb, der ihm die Chance zur Selbstständigkeit bot. Er trat deshalb 1987 seine erste Stelle bei der Stadler Fahrzeuge AG in Bussnang an, einer beschaulichen Kleinstadt im Kanton Thurgau mit rund 2200 Einwohnern - Stadler war mit einer Enkelin des Gründers verheiratet. Das Un­ternehmen konstruierte im kleinen Rahmen Schienenfahrzeuge, vor allem ­Einzelanfertigungen wie Industrielokomotiven für Fabriken, Gruben oder Kraftwerksstollen, und war damals nicht mehr als eine "bessere Dorfschlosserei", wie sich ein Journalist mokierte.

Ein Jahr später übernahm Spuhler als 29-Jähriger das Unternehmen. Ohne ­einen eigenen Franken, aber mit der Thurgauer Kantonalbank im Rücken, die seinen Einstieg mit einem Kredit von fünf Millionen Franken finanzierte. Es war sicher kein Traum­unternehmen für den Absolventen einer Elitehochschule. Vor allem, weil Spuhler keine Ahnung von Zügen und Lokomotiven hatte und die Schweizer Traditionsbranche für Schienenfahrzeuge damals am Ende schien. Aber es war, wie die "Neue ­Zürcher Zeitung" später anerkennend anmerkte, der Beginn einer der "auf­sehenerregenden Wachstumskarrieren der Schweizer Wirtschaft".

"Die ersten Jahre waren hart", erinnert sich der Patron. "Ich musste mir bei den 18 Mitarbeitern und den Kunden zuerst Respekt verschaffen. Und an jedem Monatsende fühlte ich die finanzielle Guillotine im Nacken." Der Umsatz betrug damals gerade mal 4,5 Millionen Franken. Nicht Wachstum, sondern wirtschaftliches Überleben war Spuhlers wichtigstes Ziel. Bereits an der Hochschule in St. Gallen habe er gelernt: Wachstum als Strategie an sich ist Unsinn, Wachstum soll immer die Folge einer überlegenen Strategie sein.

Ein halbes Jahr später fiel die Berliner Mauer. Mit der Öffnung neuer Märkte war Ende der 1980er-Jahre auch eine völlige Umwälzung der Rollwagen­industrie verbunden: Das DDR-Kombinat Deutsche Waggonbau (DWA) mit seinen 35 000 Mitarbeitern wurde vom kanadischen Bombardier-Konzern übernommen, ABB und Daimler-Benz legten ihre Bahngeschäfte im Joint Venture Ad­tranz zusammen, das 2001 ebenfalls an Bombardier ging. Der kanadische Hersteller wurde nun neben der französischen Alstom-Gruppe und Siemens zum dritten großen Anbieter. In diesem Konzentrationsprozess überlebten damals nur noch acht bis zehn mittelgroße Unternehmen in der Größenordnung von Stadler Rail. 20 Jahre vorher waren es noch rund 200 gewesen.

Spuhlers Erfolgsgeschichte begann in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre, als seine Stadler Rail erste eigene Fahrzeugkonzepte entwickelte. An "uralten Zeichenbrettern", erinnert sich Spuhler, arbeiteten sie damals im alten Wohn- und Bürohaus der Stadlers. Zu Sitzungen trafen sie sich in der Waschküche.

Der innovative Gelenktriebwagen GTW, ein rund 140 Stundenkilometer schneller Zug für den Regionalverkehr, war gleich ein Erfolg: Er war halb so schwer und halb so teuer wie die üblichen Nahverkehrszüge. 605 Exemplare wurden verkauft, selbst ein Verkehrsunternehmen in Texas orderte den GTW. Züge für den Zubringerverkehr auf die Hauptachsen wurden nun zur strategischen Unternehmensausrichtung.

Marketingtour mit der Eisenbahn


Spuhlers Erfolgsgeheimnis? "Ich muss als Chef drei Dinge können: die besten Leute einstellen, die Kosten im Griff haben und Aufträge hereinholen." Spuhler erwies sich als begnadeter Marketingmann. Mit einem GTW kurvten er und seine Ingenieure ein halbes Jahr durch Osteuropa, um den Zug zu verkaufen. Bei Defekten, wenn Ersatzteile aus der Schweiz geholt werden mussten, setzte sich Spuhler auch mal mit Gummischläuchen für den Turbolader und mehreren Kanistern Hydrauliköl ins Flugzeug.

1999 expandierte Stadler Rail erstmals ins Ausland. Spuhler übernahm das Adtranz-Werk in Berlin-Pankow und konnte somit zu günstigen Bedingungen in Deutschland einen Produktionsstandort für Straßenbahnen aufbauen. Um die Jahrtausendwende folgte die nächste Innovationsphase. Stadler Rail entwickelte einen leichten Zug für den regionalen und den S-Bahn-Verkehr mit modularem Aufbau, der an die unterschiedlichsten Anforderungen angepasst werden konnte.

Ein Bestseller: Ab 2004 wurden 1694 Züge an Bahnbetriebe in 18 Ländern verkauft, von Algerien bis Weißrussland. Mit pünktlichen Lieferungen und problemloser Inbetriebnahme neuer Züge verschaffte sich Stadler ein gutes Image.

Die dritte Zuggeneration kam 2010 auf den Markt: ein doppelstöckiger schneller Zug für S-Bahnen und als Fernverkehrszug für Intercity- und Interregio-Einsätze. Diese Züge wurden bis nach Russland, Aserbaidschan und Georgien verkauft.

Allerdings musste der erfolgsverwöhnte Unter­nehmer auch Niederlagen einstecken. Zum Beispiel 2010, als die Schweizer Bundesbahnen SBB bei der Ausschreibung für die neuen Intercity-­Doppelstockzüge - ein Zweimilliardengeschäft - dem kanadischen Konkurrenten Bombardier den Vorzug gaben. Für Spuhler war dies, "als ob man im Eishockey im eigenen Stadion die Meisterschaft in den letzten zwei Minuten vergeigt". Dafür reüssierte der beliebte Entrepreneur - er wurde in der Schweiz mehrfach zum "Unternehmer des Jahres" gewählt, auch 2019 wieder - zunehmend als Politiker. Er saß für die bürgerlich-rechtspopulistische Volkspartei SVP im Schweizer Parlament, wo er erfolgreich unternehmerische Anliegen vertrat und sogar als zukünftiger Bundesrat (Minister) gehandelt wurde.

Kampf gegen China-Konkurrenz


Nach 17 Jahren trat Spuhler 2012 von der Politbühne ab: Die Eurokrise und die Stärke des Schweizer Franken drückten damals die Erträge von Stadler Rail, und die Aufträge in den angestammten Märkten gingen als Folge der Schuldenkrise in Europas öffentlichen Haushalten zurück, das Exportgeschäft stürzte ab. Spuhler verzichtete auf seine politischen Ambitionen, um "die Mannschaft nicht im Stich zu lassen".

Nach fünf Jahren war er wieder zurück auf der Erfolgsspur: "Nur weil die Mitarbeiter bereit waren, für den gleichen Lohn mehr zu arbeiten, gelang es uns, da durchzukommen. Und dies ohne Entlassungen oder Kurzarbeit." In dieser schwierigen wirtschaftlichen Phase entschied sich Spuhler für eine neue Strategie: Stadler Rail sollte nun in die Segmente Fernverkehr bis Tempo 250 sowie U-Bahnen expandieren, geografisch zudem in die Märkte der GUS, der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, und des arabischen Raums. Dies gelang ziemlich rasch, zum Beispiel dank Aufträgen für die U-Bahnen in Berlin und Moskau oder Hochgeschwindigkeits­zügen für die Schweizer SBB.

Spuhler, ein kräftiger und sportlicher Mann, der angibt, nie krank zu sein, der leidenschaftlich gern Ski fährt und problemlos die Hahnenkammabfahrt in Kitzbühel bewältigt, ist ein Kämpfertyp geblieben. Seine Rhetorik erinnert noch immer an seine Militärzeit. Etwa wenn er von den Schweizern als "kleines, kriegerisches Bergvolk" spricht. In dieser Welt, so zitiert ihn die "Neue Zürcher Zeitung", müsse man sich wehren, man greife an, marschiere, werfe den Fehdehandschuh hin, müsse Schlachten bestehen. Zum Beispiel jetzt gerade "gegen die Chinesen", die ihn herausfordern.

Aus China kommt die neue Konkurrenz. Sie heißt CRRC, ein Riesenkonzern, der 2015 aus der Fusion eines nord- und eines südchinesischen Bahnherstellers hervorging. Das Staatsunternehmen beschäftigt rund 180 000 Mitarbeiter. "Siemens und Bombardier wussten nichts Besseres zu tun, als die Chinesen mit westlicher Technologie aufzurüsten", beklagt sich Spuhler. "Und ein paar Jahre später rollen nun Kopien der Siemens- und Bombardierzüge Richtung Westeuropa."

Noch stimme aber die Qualität der chinesischen Züge nicht. Und der Bau von Zügen sei eher Einzel- als Serien­fertigung. Jeder Kunde wolle eine andere Variante, etwa bei den Einstiegs­höhen, bei der Verarbeitung, den Stromsystemen, der Sicherungstechnik. Flexibilität sei gefragt. "Da werden sich die Chinesen schwertun. Die sind es gewohnt, tausend gleiche Züge zu bauen." Aber: "Wenn die Finnen einen Zug wollen, der den Passagieren bis ­minus 40 Grad die Füße warm hält, dann baut ihn Stadler eben."

Nicht gut zu sprechen ist Peter Spuhler auch auf US-Präsident Trump. 2018 war Stadler Rail im Begriff, 960 U-Bahn-Waggons nach Teheran auszuliefern. Die Verträge waren unterschriftsbereit, die Finanzierung gesichert. Als Trump neue Sanktionen gegen den Iran verhängte, musste Spuhler den Auftrag über 1,3 Milliarden Franken opfern - schließlich will er auch in den USA Züge verkaufen und produzieren; er hat ein Werk in Salt Lake City. Den Deal machte anschließend übrigens der chinesische Staatskonzern CRRC. "Die haben sich doch ins Fäustchen gelacht", ärgert sich Spuhler. Gut findet er hin­gegen, dass Trump gegen die unfairen chinesischen Handelsmethoden vorgeht. "Europa hat ja nicht mehr den Mut, gegen China anzutreten."

Dreifacher Frankenmilliardär


Spuhler übergab 2018 den Chefposten an seinen Stellvertreter Thomas Ahlburg und kümmert sich nun als Verwaltungsratspräsident um Strategie und Kundenpflege. Ein Jahr später ging Stadler Rail in Zürich an die Börse. Die Aktien stammen alle aus dem Besitz von Spuhler, der bis zum Börsengang 80 Prozent der Anteile hielt, jetzt aber nur noch 39,7 Prozent des Kapitals kontrolliert.

Er wurde durch den Börsengang zum dreifachen Frankenmilliardär, aber auch viele seiner Kadermitarbeiter, die vorher einen Teil ihres Gehalts in Form von Aktien ausbezahlt erhielten, wurden jetzt zu Millionären. Darunter auch der CDU-Politiker Friedrich Merz, der im Verwaltungsrat des Unternehmens sitzt. Sein Paket von 150.000 Stadler-­Aktien machte ihn um umgerechnet 5,7 Millionen Euro reicher.

Peter Spuhler, der in zweiter Ehe mit einer Bauunternehmerin verheiratet ist, hat 2018 in St. Moritz für angeblich 15 Millionen Franken ein Chalet als ­Feriendomizil erworben. Es sei "ein Schnäppchen" gewesen, denn viele Erben würden jetzt Geld benötigen und sich von ihren Liegenschaften trennen. So auch die Vorbesitzerin Vanessa von Opel aus der Autodynastie.

Spuhler besitzt in dem Engadiner Nobelkurort bereits den Gourmettempel "Talvo by Dalsass". Russische Investoren wollten das Gebäude aus dem Jahr 1658, eines der ältesten im Engadin, kaufen und zu Eigentumswohnungen umbauen. Spuhler, dessen Vater als Küchenchef in ­St. Moritz auch den "Talvo"-Besitzer ausgebildet hatte, rettete kurzerhand das Traditionslokal.

Vita
Ein Offizier und Gentleman
Der 1959 in Spanien geborene Sohn eines Kochs studierte ab 1980 in St. Gallen BWL, parallel dazu machte er Karriere in der Schweizer Armee als Gebirgsjägerkommandant. 1987 stieg er zudem bei Stadler ein, kaufte das Unternehmen 1989. Der begeisterte Sportler ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei Kinder. Am Börsengang beteiligte er die Belegschaft großzügig.

Die Aktie
Erfolgreicher Börsengang
Im April 2019 ging Stadler Rail (ISIN: CH 000 217 818 1) an die Börse. Seither hat der Kurs um rund zehn Prozent zugelegt. Die Auftragsbücher für 2020 sind prall gefüllt. Das Problem: Deutsche Anleger können Schweizer Papiere derzeit nur noch über den Banken angeschlossene Broker oder eben an der Schweizer Börse direkt kaufen oder verkaufen.








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