Expertenkolumne |
02.09.2024 09:08:43
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Trotz Notenbank-Konsens zu Zinssenkungen: Märkte könnten sich zu viel versprechen
Die Märkte erwarten, dass die US-Zinsen um 100 Basispunkte bis zum Jahresende gesenkt werden - bei nur noch drei ausstehenden Sitzungen erscheint das unwahrscheinlich. Dabei werden die US-Arbeitsmarktdaten entscheidend sein, die am 6. September anstehen.
In der vergangenen Woche fand in Jackson Hole, Wyoming, das jährliche Treffen der Notenbanken statt. Die Nachricht von Jerome Powell, dem Vorsitzenden des US-Zinsausschusses, war klar und offen: «Es ist an der Zeit, die Zinsen zu senken.» Andrew Bailey, sein britischer Kollege, formulierte seine Sicht dagegen vorsichtiger: «Es ist zu früh, um den Sieg zu verkünden.» Die Europäische Zentralbank (EZB) war durch das geldpolitische Schwergewicht Philip Lane vertreten, doch Präsidentin Lagarde war nicht anwesend und aus der Eurozone gab es wenig Neues.
USA: Zinssenkung um 100 Basispunkte erfordert unwahrscheinliche Rezession
Anders als die Bank of England (BoE) und die EZB hat die US-Notenbank die Zinsen bisher noch nicht gesenkt und sieht offenbar - wie die Märkte auch - Nachholbedarf. Anleger erwarten bis zum Jahresende Zinssenkungen um 100 Basispunkte. Bei nur noch drei ausstehenden Sitzungen erfordert das eine Senkung um 50 Basispunkte bei einer der Sitzungen. Das scheint recht unwahrscheinlich, wird aber letztendlich von den US-Arbeitsmarktdaten abhängen, die am 6. September veröffentlicht werden. Schwache Zahlen könnten die Federal Reserve (Fed) durchaus zu einer Senkung um 50 Basispunkte auf der Sitzung später im Monat bewegen - die letzten Beschäftigungsdaten Anfang des Monats signalisierten eine Rezession. Diese bleibt jedoch nach wie vor unwahrscheinlich, denn der Anstieg der Arbeitslosenquote war grösstenteils auf temporäre Faktoren zurückzuführen und die Zahl der Arbeitslosen dürfte dementsprechend bald wieder zurückgehen.
Sofern nicht andere Wirtschaftsdaten wirklich bedenklich ausfallen, würde das eine Senkung um 25 Basispunkte weniger wahrscheinlich machen. Bedenkt man, wie viele Senkungen der Markt für den Rest des Jahres bereits eingepreist hat, kann dies durchaus zu Enttäuschungen führen - auch wenn der Trend eindeutig in Richtung niedrigere US-Zinsen geht. Die Marktakteure erwarten für das kommende Jahr weitere Zinssenkungen in Höhe von 123 Basispunkten, was den Leitzins auf 3 Prozent drücken würde. Der Trend geht also klar nach unten, aber auch hier ist bereits viel eingepreist.
Vereinigtes Königreich: Energierechnungen steigen, Einzelhandelspreise sinken
Im Vereinigten Königreich haben die Märkte lediglich eine Leitzinssenkung von 40 Basispunkten bis zum Jahresende eingepreist. Die Wirtschaft beschleunigt sich, auch wenn das Ausgangsniveau niedrig ist. Die Furcht vor einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit teilen wir jedoch nicht. Die jüngsten Inflationszahlen lagen genau auf dem Zielkurs, aber von nun an sollte der Trend stetig aufwärts zeigen. Ein wichtiger Faktor sind dabei die Energierechnungen der Haushalte, die im Oktober erstmals seit zwei Jahren um 10 Prozent steigen werden. Die BoE und die Regierung stehen daher unter Druck, Rentner und sozial schwächer Gestellte stärker zu entlasten. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Je weiter die Anhebung des Mindestlohns von 10 Prozent im April zurückliegt, desto weniger wirkt sie sich auf die Lohninflation im Quartalsvergleich aus - eine wichtige Kennzahl für die BoE.
Das Pfund Sterling war in diesem Jahr bisher die stärkste Währung, was sich in niedrigeren Preisen für Importgüter niederschlägt. Die Einzelhandelszahlen zeigen zudem den ersten Preisrückgang im Jahresvergleich seit der Covid-Pandemie. Insgesamt rechnen wir mit Zinssenkungen um 50 Basispunkte bis zum Jahresende. Für nächstes Jahr sind weitere 82 Basispunkte vorgesehen, was den Leitzins auf 3,75 Prozent senken würde. Das ist durchaus möglich, aber es gibt Risiken in beide Richtungen.
Eurozone: Lohnwachstum bald mit dem 2-Prozent-Ziel vereinbar
Die Aussichten auf Zinssenkungen sind in der Eurozone ähnlich wie im Vereinigten Königreich. Das europäische Wachstum ist schleppend und einige wirklich gute Nachrichten der vergangenen Woche fanden bemerkenswert wenig Beachtung: So fiel das Lohnwachstum auf 3,5 Prozent auf Jahresbasis - das ist ein starker Rückgang und nicht weit entfernt von einem Niveau, das mit dem 2-Prozent-Ziel der Zentralbanken vereinbar ist. Bisher waren die Aussichten auf weitere EZB-Zinssenkungen mit Vorsicht zu geniessen, doch das hat sich jetzt geändert.
Bei Risikoanlagen überwiegen positive Aspekte
Die Märkte in den USA, dem Vereinigten Königreich und der Eurozone preisen also geschlossen deutliche Zinssenkungen ein. Sollten die nächsten US-Arbeitsmarktdaten schwach ausfallen, werden diese Erwartungen erfüllt - doch eine Enttäuschung ist wahrscheinlicher. In Grossbritannien sind die Aussichten für dieses Jahr gut, für 2025 ist allerdings Vorsicht geboten. Das Lohnwachstum in Europa hat sich verlangsamt, und die Aussichten auf Zinssenkungen sind dementsprechend gut. Bei Risikoanlagen ist die Frage nach dem genauen Ausmass der Zinssenkungen deutlich weniger ausschlaggebend als die vielen positiven Aspekte: sinkende Zinsen, nachlassende Inflation sowie ein anhaltendes Wirtschaftswachstum.
Von Steven Bell, Chief Economist EMEA bei Columbia Threadneedle Investments.
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