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Bereits im Gange 19.09.2021 16:27:00

Wachstum verlangsamt sich: Nouriel Roubini warnt vor Stagflation

Wachstum verlangsamt sich: Nouriel Roubini warnt vor Stagflation

Bereits seit mehreren Monaten warnt Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini davor, dass die zu lockere Geld- und Fiskalpolitik zur Inflation oder gar Stagflation führen könnte.

• "Dr. Doom" sieht steigende Inflation und sich verlangsamendes Wachstum
• Optimisten glauben, dass alles nur vorübergehend ist
• Roubini: "Risiko einer stagflationären Schuldenkrise" bleibt mittelfristig weiter bestehen

Bereits im Frühjahr dieses Jahres wies Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini, auch bekannt als "Dr. Doom", in einem Artikel bei Project Syndicate darauf hin, dass mehrere Faktoren auf einen anhaltenden säkularen Anstieg der Inflation hindeuteten. Inzwischen befinden wir uns laut Roubini bereits in einer "milden Stagflation".

Roubini warnt vor Inflation und Stagflation

Als Argument dafür, dass der Anstieg der Inflation von Dauer ist, führte Roubini im Frühjahr die übertriebenen fiskalischen Anreize der USA an, um eine Wirtschaft anzukurbeln, die sich bereits schneller als erwartet wieder erholte. Im Frühjahr 2020 verabschiedeten die USA ein 3-Billionen-Dollar-Hilfspaket, im Dezember ein Konjunkturpaket in Höhe von 900 Milliarden Dollar und im März 2021 Staatsausgaben von 1,9 Billionen Dollar. Im August folgte ein Infrastrukturpaket in Höhe von mehr als einer Billion Dollar. Damit reagierten die USA auf die Corona-Krise mit deutlich stärkeren Massnahmen als auf die globale Finanzkrise 2008.

Als zweites Argument für eine steigende Inflation führte Roubini an, dass die US-Notenbank und andere wichtige Zentralbanken sich mit ihrer Geldpolitik zu sehr anpassten. Die von den Zentralbanken zur Verfügung gestellte Liquidität habe kurzfristig bereits zu einer Inflation der Vermögenswertpreise geführt. Mit der Beschleunigung der wirtschaftlichen Erholung und des Aufschwungs werde sie ein inflationäres Wachstum der Kreditvergabe und der realen Ausgaben vorantreiben, erklärte Roubini im Frühjahr.

"Milde Stagflation" bereits im Gange

In einem neuen Artikel bei Project Syndicate erklärte Roubini kürzlich, dass bereits eine "milde Stagflation" im Gange sei. In den USA und in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften steige die Inflation, und das Wachstum verlangsame sich trotz massiver geld-, kredit- und fiskalpolitischer Anreize stark. Laut Roubini werde der wahre Test für die Stärke der Fed kommen, wenn die Märkte inmitten einer sich verlangsamenden Wirtschaft und einer hohen Inflation einen Schock erleiden. "Höchstwahrscheinlich wird die Fed dann die Nerven verlieren und erneut einknicken", so Roubini.

Delta belastet

Eine Ursache für die "Mini-Stagflation" in diesem Sommer sei, dass die Delta-Variante vorübergehend die Produktionskosten erhöhe, das Produktionswachstum verringere und das Arbeitskräfteangebot einschränke. So zögerten Arbeitnehmer, die derzeit noch Arbeitslosengeld beziehen, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren und Arbeitnehmer mit Kindern müssten möglicherweise aufgrund von Schulschliessungen und dem Mangel an bezahlbarer Kinderbetreuung zu Hause bleiben. Auf der Produktionsseite störe Delta die Wiedereröffnung vieler Dienstleistungssektoren und beeinträchtige globale Lieferketten, Häfen und Logistiksysteme. So behindere der Halbleiter-Engpass die Produktion von Autos, elektronischen Gütern und anderen langlebigen Konsumgütern und kurbele so die Inflation an.

Alles nur vorübergehend?

Wie Roubini schreibt, bestünden die Optimisten jedoch darauf, dass dies alles nur vorübergehend sei. Sobald Delta in den Hintergrund rücke und die Sozialleistungen ausliefen, kehrten die Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt zurück, Produktionsengpässe würden behoben, das Produktionswachstum werde sich beschleunigen und die Kerninflation, die in den USA derzeit bei fast vier Prozent liege, werde im nächsten Jahr auf das Ziel der US-Notenbank von zwei Prozent zurückfallen.

Hinsichtlich der Nachfrage werde angenommen, dass die Fed und andere Notenbanken anfangen werden, ihre unkonventionelle Geldpolitik zurückzufahren. "Im Verbund mit einem gewissen Progressionseffekt im nächsten Jahr (wenn die Defizite womöglich geringer ausfallen werden) würde dies die Risiken einer Überhitzung verringern und die Inflation im Zaum halten", so Roubini. Damit würde die heute milde Stagflation zum nächsten Jahr einer "glücklichen Goldlöckchen-Wirtschaft", mit höherem Wachstum und geringerer Inflation, weichen.

Was, wenn der stagflationäre Druck anhält?

Verschiedene Inflationsmasse liegen Roubini zufolge jedoch nicht nur deutlich über dem Zielwert, sondern seien auch zunehmend hartnäckig. So geht der Wirtschaftsprofessor zum Beispiel davon aus, dass die Kerninflation in den USA bis zum Jahresende immer noch nahe vier Prozent liegen dürfte. Die makroökonomische Politik dürfte laut Roubini locker bleiben und viele Zentralbanken "halten nach wie vor uneingeschränkt an einer langfristigen Fortsetzung ihrer unkonventionellen Politik fest".

Auch wenn die US-Notenbank eine Straffung der Geldpolitik erwägt, werde sie Roubini zufolge wahrscheinlich insgesamt zurückhaltend und "hinter der Kurve bleiben". Wie die meisten Zentralbanken sei sie durch den Anstieg der privaten und öffentlichen Schulden in den letzten Jahren in eine "Schuldenfalle" gelockt worden. Selbst wenn die Inflation höher als angestrebt bleibe, könne ein zu frühes Ende der quantitativen Lockerung zu einem Absturz der Anleihe-, Kredit- und Aktienmärkte führen. Das würde wiederum der Wirtschaft zu schaffen machen und die Fed möglicherweise zu einer Kehrtwende und der Wiederaufnahme der quantitativen Lockerung zwingen.

Roubini erklärt, dass sich mittel- bis langfristig negative Angebotsschocks fortsetzen werden, von denen mindestens neun bereits erkennbar seien. Zum einen gebe es einen Trend zur Deglobalisierung und "einem zunehmenden Protektionismus, die Balkanisierung und Rückholung weitverstreuter Lieferketten und die Bevölkerungsalterung in den hochentwickelten Ländern und wichtigen Schwellenmärkten". Die Migration aus dem ärmeren Süden in den reicheren Norden werde durch strengere Einwanderungsbeschränkungen verhindert. Daneben drohe der chinesisch-amerikanische "Kalte Krieg" die Weltwirtschaft zu zersplittern, während der Klimawandel bereits jetzt zu "Verwerfungen in der Landwirtschaft" führe und steigende Lebensmittelpreise verursache.

"Darüber hinaus werden fortgesetzte globale Pandemien unweigerlich zu mehr nationaler Eigenständigkeit und zu Exportkontrollen für wichtige Waren und Werkstoffe führen", erklärt Roubini in seinem Artikel. Ausserdem destabilisiere die Cyberkriegsführung die Produktion zunehmend und die politische Gegenreaktion gegen Einkommens- und Vermögensungleichheit treibe die Finanz- und Regulierungsbehörden dazu, Massnahmen zur Stärkung der Macht der Arbeitnehmer und Gewerkschaften umzusetzen und so die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Lohnwachstum zu schaffen.

Diese anhaltenden negativen Angebotsschocks drohen laut Roubini, das potenzielle Wachstum zu verringern. Werde die lockere Geld- und Fiskalpolitik derweil fortgesetzt, könnte dies "die bisherige Verankerung der Inflationserwartungen aufheben". Durch die daraus resultierende Lohn-Preis-Spirale würde Roubini zufolge "mittelfristig ein stagflationäres Umfeld entstehen, das schlimmer ist als in den 1970er Jahren, als die Schuldenquoten niedriger waren als heute". Daher bleibe "das Risiko einer stagflationären Schuldenkrise" seiner Meinung nach mittelfristig weiter bestehen.

Redaktion finanzen.ch

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